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Archiv der Kategorie: Nordkap-Kreuzfahrt auf Mein Schiff 1 im Juli 2013

01.08.13 Ganzschöngesund – Vermischtes zum Wohlfühlen (3. Seetag)

Mit großer Schreibschrift steht `Wohlfühlen´ auf der blauen Bordwand von MeinSchiff. Als wolle man betonen, dass es weniger auf die polierte Schiffs-Schale als auf den Kreuzfahrt-Kern ankomme. Während AIDA den Ruf als Clubschiff durch die Anzahl der Bars auszudrücken versucht, werden bei TUI die neuen „Kreuzfahrtianer“ anders angesprochen. Gleich bei Kabinenbezug wird mit einem auf den Betten platzierten Programm Kurs genommen auf Body & Soul mit „SPA&Meer“. Irritiert bin ich dabei etwas über den kleinen Werbeflyer von „Clinic-Im-Centrum“.

Mit einem Vorher/Nachher-Vergleich wird für die „Schönheit auf See“ geworben. Doch beide Bilder zeigen ein und den selben Mastiff. Das ist diese eher fette englische Dogge, von der es in einem „Hunde-Racen-Fuehrer“ von 1891 heißt „er liebet mehr den Kampf denn sein Futter“ und hinter dem von dicken Falten geprägten Gesicht „verbürget sich eine wahrlich wilde Natur, die zurecht den Namen Bärenbeißer verdienet“.
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Was will uns das über die angesprochene Klientel sagen? Oder über den Behandlungs-Erfolg? Denn die Mastiff-Falten sind ja rechts und links die gleichen, nur etwas erleichterter sitzt er rechts da. Aber es geht wohl um Falten. Und dreht man das Faltblatt um, wird´s eindeutig. In dem Prospekt heißt es „Mit unserer sanften und sicheren Faltenbehandlung mit Botulinumtoxin und Hyaluronsäure sehen Sie in wenigen Minuten Jahre jünger aus. Und dies ganz unauffällig!“ – oder auch nicht! Ich habe schon von Botox-Partys gehört, bei denen gelangweilte Societyladies und B-Promis auch mal eine große Lippe riskieren wollten und danach für Wochen den Schnabel halten mussten. Erinnert sich noch jemand an Chiara Ohoven?

Gut, dass an Bord das Body-Shaping von Kopf bis Fuß durch Ärzte begleitet wird, denn mit Botox ist nicht zu spaßen. Aus dem Bakterium Clostridium botulinum entsteht nämlich eigentlich ein Nervengift, das in zu kräftiger Dosis selbst ausgewachsene Rindviecher mit einem Streich umhauen kann. Da ist die Hyaluronsäure schon viel sympathischer. Und prompt  auch teurer. Einmal Botox kostet nämlich nur 200 Euro, die Spritze mit dem sensationellen Glattmacher gleich 400 Euro. Hyaluronsäure bindet Wasser. Zum Beispiel unser Augapfel besteht zu 98 % aus Wasser, das von den 2% der Hyaluronsäure als Gelmasse zusammengehalten wird. So festes und weiches Gewebe ist ein Traum, der in Hyaluron geträumt werden kann. Schade nur, dass dieser künstlich unter die Haut gebrachte Prozess nur gut sechs Monate anhält. Dann wäre die nächste Schönheitskreuzfahrt fällig.

Das Angebot der schwimmenden Wohlfühlklinik hat aber auch noch harmlosere Therapien auf Deck 11 zu bieten. Für 179 Euro heißt es `Silhouette ohne Cellulite´ durch Fettzellenentleerung dank niederfrequenter Ultraschallbehandlung. Und mit Ultraschall und für 60 Euro wird ihr Lächeln aufpoliert. Die SPA & Meer-Abteilung propagiert den Slogan „Schönheit beginnt im Kopf“. „Am Kopf“ ist wohl gemeint, da ja für den Frisör, pardon Flagship-Coiffeur `Paul Mitchell´ geworben wird. Waschen, Schneiden, Fönen ab 45 Euro. Die Pflegeserie für danach, käuflich zu erwerben, schmeichelt ihrem Haar von innen – drollige Vorstellung – und dank Awapuhi. Um herauszukriegen, was das nun wieder ist, hilft es leider nicht, die sehr netten, sehr hübschen (ohne Botox!) und sehr kompetenten Salon-Mitarbeiterinnen zu befragen, sondern nur ein kurzer Wikipedia-Ausflug. Da wird dann aus Awapuhi das botanische ´zingiber zerumbet´, eine wohlriechende Wurzelpflanze, die auf Hawaii zur Bekämpfung von Zahnschmerzen und Haarausfall sowie als Deodorant verwendet wird. Alles gleichzeitig! Also schaden kann es nicht. Überhaupt scheint `Wohlfühlen´ mit gut riechen und Exotik verknüpft zu sein. Zu den vielen Angeboten kommt nämlich eine Pino-Honig-Massage (49 Euro) oder ein original türkisches Hamam-Pascha-Ganzkörperpeeling (74 Euro). Exotisch klingt auch das Workshop-Programm. Tai Chi, Zumba und Pilates. Und aus dem viel zu normalen Aerobic ist „BBP“ (BauchBeinePo) und „POLAR Fitness“ geworden.

Es bleibt allessamt irgendwie Gymnastik. Mit was drauf und für 25 Euro pro Schuldoppelstunde. Spannend ist für mich, dass sich kaum ein Männerkörper in diese Kurse verirrt. Nicht dass die es nicht nötig hätten, dessen kann man sich bei einem Spaziergang längs des Pools vergewissern, aber in den letzten fünfzig Jahren ist `Wellness´ zur Frauendomäne geworden. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die meisten Angebote von Männern für Männer erfunden wurden. Nehmen wir z.B. Aerobic. Der ehemaliger Major der US Air Force Kenneth H. Cooper sollte in den 60er Jahren als Mediziner ein Programm entwickeln, mit dem zugleich bei künftigen Piloten die Leistungsfähigkeit gemessen werden sollte und die Sauerstoffverarbeitung gesteigert – `aerobic´ eben. In den immer schneller werdenden Düsenjägern, die nur mit Unterdruck und Maske geflogen werden konnten, war dies ein Muss. Um das stupide Zirkeltraining zu beleben, wurden Abzählreime gesungen, halt wie auch beim anderen Drill der Rekruten. Den Durchbruch erlebte Coopers Methode, als diese 1970 der Fußball-Nationalmannschaft von Brasilien zu überragender Kondition und Weltmeister-Pokal verhalf. Dies vielleicht aber auch, weil die Südamerikaner statt zu singen, beim Fitnesstraining rhythmisch hämmernde Popmusik einsetzten.

Nicht viel anders verhält es sich mit `Zumba´. Das ist Aerobic kombiniert mit lateinamerikanischen Tanzschritten und wechselndem Tempo. Der Kolumbianer Alberto Perez hatte als Fitnesstrainer immer wieder Karnevalisten in seinem Studio. Die mussten in kurzer Zeit für ihren Straßenauftritt fit gemacht werden. Bei den Karnevalsumzügen zum Beispiel in Rio tragen nämlich die Frauen oft wenig bis nichts, die Männer jedoch bombastische und schwere Konstruktionen als Kostüm. Im Rhythmus von Salsa, Mambo, Cha-Cha-Cha, von Samba, Soca und Merengue müssen die im Alltag als Taxifahrer oder Steuerbürogehilfen eher weniger fitten Tänzer in Schwung gebracht werden. Zumba, Zumba, Tätärrä. Das dabei in einer Stunde über 700 Kalorien verbrannt wurden, hatte sich zunehmend auch in Frauenabnehmkreisen rumgesprochen.

Bleibt noch Pilates. Was auch irgendwie lateinamerikanisch klingt, aber seinen Ursprung in Mönchengladbach hat. Das ist aus Düsseldorfer Sicht schon Ausland, war aber damals – also 1883 – preußisch verwaltete Kleinstadt im westlichen Westfalen, als Joseph Hubertus geboren wurde. Papa Pilates war, wie es sich für damalige Handwerker gehörte, auch ein ordentlicher Turner. Sein Sohn übertraf ihn schon als Teenager an Geschicklichkeit, Sportgeist und Ehrgeiz – alles Grund genug dann mangels anderer Berufsperspektive als Zirkusartist auf Tournee durch Europa zu gehen. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges war seine Station Südengland. Mit dem ersten feindlichen Kanonenschuss landete `Joe´, wie er nun auf den Plakaten hieß, in einem britischen Internierungslager. Hinter Gitter mit all den anderen Europäern, die man nicht für zuverlässig hielt. Ohne Beschäftigung, ohne Perspektive, durch den Krieg schlecht versorgt, galt es den Körper gesund zu halten. Als Artist, Boxer und Turner hat Pilates immer schon ein Übungsprogramm gehabt, aber jetzt eingepfercht musste improvisiert werden. Keine Sportgeräte, kein Platz. Ein paar alte Matrazen, eines der eisernen Etagenbetten, die Ketten aus dem Arrestraum, Stühle aus dem Speisesaal – alles wurde etwas umgeklempnert, zusammengeschraubt und für Übungen in den kleinen Räumen eingesetzt. Nach dem Krieg wanderte Joe nach New York aus. Aus den vitalen Überlebensübungen wurde ein Fitness Sportlerprogramm, das z.B. Boxidol Max Schmeling bei seinen USA-Kämpfen nutzte. Unter dem `Studio Pilates´ in der Eight Avenue übte auch das New York City Ballet. Man besuchte sich kollegial. Tauschte sich und die Übungen aus. Zu den Kraftübungen kamen tänzerische Bewegungen. Die Pilates-Geräte wurde schöner und funktionaler. Aber noch immer ist beim „Combo Chair“ die ehemalige einfache Sitzgelegenheit sichtbar und seine Nähe zum Bettkasten leugnet der „Reformer“ kaum. Den gibt es in Ahorn und poliertem Stahl schon ab 3.399 Euro. Alles natürlich modisch gepolstert in 51 Farben wie marineblau, pink und sonnenblume.

Apropos Sonnenblume. Sonnenblumenkerne, Pinienkerne, Sesam, fünf Meter Salatbüfettparcours. Zum Wohlfühl-Programm der Mein Schiff gehört natürlich das passende Essprogramm. Ganzschön geht nicht ohne ganzschöngesund. Vegetarisches wird auch im Restaurant `Atlantic´ serviert, fein zubereitet, fein dekoriert. Wer will, kann ziemlich gesund mahlzeiten, wenn das tolle Eis nicht immer wäre. In den Büfetts findet sich für alle Diätvarianten etwas. Fettarm, laktosefrei, zuckerreduziert. Doch gerade für letzteres hat sich gegen das populäre Getränke-ABC (apfelsaftbiercola) ein überall zapfbarer Grapefruitsaft noch nicht durchgesetzt. Dabei würde der ideal zu Sit ups und Slow Food passen. Das lernen wir bei einem der amüsanten Vorträge der Personal Coaches an Bord. Tobias Methmann ist einer. Er trainiert auch deutsche Olympioniken und Hamburger Spitzenmanager. Er schwört auf zweierlei. Die Ultrakurztherapie der Power-Plate, die mit ihren vibrierenden Scheiben in zehn Minuten jeden Muskel zum Zucken bringt. Und dazu eben Slow Food. Süßes Leben durch langsames und saures Essen und Trinken. Das also macht Grapefruit so wichtig. Die Bitterstoffe des Naringenin darin binden alles möglich im Darm. Und das hilft perfekt, dass was oben rein kommt auch unten wieder raus kann. Für die allumfassende Wellness soll es also Grapefruitsaft sein. Den kriegt man dann nur mit beharrlicher Ausschau nach einer Dame mit mindestens anderthalb Streifen auf der Uniform. Oder nach Rudi fragen. Der ist Holländer, hat zwei Streifen und wurde wohl schon bei der Kiellegung der Mein Schiff als `Galaxy´ 1996 mit eingebaut. Er kennt jede Kanne am Klang. So klappt es dann auch immer mit dem Grapefruitsaft. `Wellness´ ist nämlich Gesundheit durch viel Sonne plus mehr Bewegung plus noch mehr Trinken, so jedenfalls meinte es die erste Beschreibung von `Wealnesse´ des englischen Arztes Sir Johnson – im 17. Jahrhundert. Der beschrieb ein Gesundheitsprogramm für schwächelnde junge Landedelfräuleins. Damit diese wohlgenährt, wohlgeformt und wohlgefällig auf dem Heiratsmarkt bestehen konnten. Beim Blättern im Grimmschen Wörterbuch entdecke ich, das `wohlgefällig´ und `wohlfährtig´ zugleich `gesund´, `erfolgreich´ und `hübsch´ bedeutet. Ganz wie im Englischen das Wort `wellness´. Und immer gehört dazu auch `wohltuend´. Obwohl, eher `anstrengend´ ist das doch und das schon seit diesen früheren Zeiten. Bei Pilates, Zumba und Power Plate kommt man ordentlich in Schweiß. Ich mag es dann zu diesem Zwecke etwas entspannter.

Orientalisches Dampfbad, finnische Sauna, Solesauna, Kräutersauna. Schwitzen in allen Temperaturen zwischen 60 und 90 Grad und in allen Farben und das ganze von Neun bis Neun. Wer gleich nach dem Frühstück hingeht, hat die 1.700 Quadratmeter – alles zusammen mit Wasserkübeldusche und Freiluftruheraum – fast für sich alleine. Irgendwie ist die Sauna der ehrlichste Bereich  auf dem ganzen Schiff. Alle nackt. Fast. Mancher kann sich von Goldkettchen und Rolex als Statussymbol nicht trennen. Und manche sieht irgendwie doch noch angezogen – oder anziehend? – aus. Zum Beispiel die junge Bloggerin aus China. Ein filigranes Tattoo schlängelt  über ihren Rücken. Gerne würde ich sie fragen, was das alles im Einzelnen darstellt. Aber man soll man ja nicht quatschen in der Sauna und nicht so genau hingucken. Lieber aus dem großen Panoramafenster schauen. Meerblick mit Möwen. Die glotzen doch eindeutig hier herein. Ist das bestimmt eine NurEineRichtung-Scheibe? Und wenn die Möwen uns sehen könnten, für was würden die uns halten? Großgewordene Nacktmulle? Würde auf jeden Fall irgendwie hinkommen. Denn diese Wüstennagegrabetiere haben einen seltsamen Hang alles in Gruppen zu machen. Und ihre glatte Haut verdankt sich einer natürlichen Fähigkeit Hyaluronsäure zu speichern. Das könnte die Beauty-Docs an Bord interessieren. Ich schwitze einfach weiter. Und danach gibt es ein Salat mit Sonnenblumenkernen und ein Glas Grapefruitsaft. Zum Wohl. (stan)

31.07.13 Ålesund – Holz gab ich für Blumen

Ålesund und seine Bewohner hatten sich auf die scharfen Winterwinde gut eingestellt. Die kamen meist ihren langen Weg über den Nordatlantik aus dem Nordosten. Im südlichen Teil der Insel Aspoya war der Hafen von Ålesund deshalb gut geschützt. Doch in diesem Januar 1904 blies es kräftig aus Südwest. Es brauste zu einem Sturm auf. Die Fenster in den hoch gebauten Holzhäusern knarrten, Türen knallten. Die Samstagnacht an der Strandgate war unruhig. Aber hinter den vom Kerzenschein erleuchteten Fenstern wurde noch gearbeitet. Der Winter musste genutzt werden, um die Vorräte fertig zu stellen. Auch in der kleinen Fabrik für Margarine. Die war bei den Seefahrern beliebt. Haltbarer und billiger als Butter. Aus stinkenden Fischfetten konnte durch Milch, Wasser und Aromen ein ordentlicher Butterersatz gekocht werden. Ein gutes Geschäft. Unter den großen Bottichen brannten kleine Feuer. Ein Windstoss nur…

Der Alarm kam mitten in der Nacht um Viertel nach Zwei. Von einem Feuerturm beim nahen Berg Aksla wurden schon die züngelnden Flammen gesehen. Beide Feuerlöschmannschaften machten sich sofort auf den Weg. Der Wind huschte mal links mal rechts durch die engen Gassen. Zu eng für das Pferdefuhrwerk mit der Löschspritze. Jeder wollte nahe der Pier sein Geschäft betreiben. Hauswand an Hauswand. Und wie üblichen schnell aus leichtem Holz errichtet, die bunten Fassaden ein schöner Anblick, selbst jetzt im Feuerschein. Die Häuser waren oft nochmals aufgestockt worden. Wohnen, arbeiten, lagern. In den Kontoren stapelte sich ordentlich die gesamte Korrespondenz, Lieferlisten, Packpapier für die kleinen Margarineblöcke.

Gefundenes Fressen für die züngelnden Flammen. Dicke schwarze Rauchwolken schlugen den Feuerwehrmännern entgegen. Brennendes Fett, fliegende Fetzen, Feuerbällchen schleuderten durch die Luft. Die Pferde der Löschzüge scheuten. Ihnen mussten die Augen verbunden werden, um sie nahe an die Brandherde führen zu können. Kein Durchkommen.

Die Flammen fraßen sich von Haus zu Haus, von Straße zu Straße. Den kleinen Hügel hinauf zur Kirkegate. Da, die Lateinschule brannte. 500 Meter weiter. Das Packkaus von Rønneberg & Sønners in der Notenesgate. Das ist schon 800 Meter auf der anderen Insel. Hier lechzten die Feuerzungen besonders heftig aus den Fenstern. Längst hatte sich das Flammenmeer in den Norden und Westen der Stadt ausgebreitet. Jetzt drehte auch noch der Wind. Seit dem frühen Morgen bemühte sich auch ein Löschboot dem Feuer Herr zu werden, gegen den Wind keine Chance. Das Boot wurde an die Apotekerbrygg verlegt. Das Feuer sollte sich nicht weiter Richtung Westen unterhalb des Berges Aksla ausbreiten. Dort in den Lagerhäusern und weiter draußen der Borgund-Kirche haben tausende von Bürgern Unterschlupf gefunden. Nach Stunden vergeblicher Löscharbeiten blieb dem Regionalgouverneur Alexander Kielland nur zu melden „Ganz Ålesund in Flammen!“

Diese Meldung wurde über die erst wenige Jahre liegenden Telegrafenkabel in fast alle nordeuropäischen Hafenstädte geschickt. In Hamburg war Albert Ballin, der Generaldirektor der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) sofort bereit Hilfe zu schicken. Für seine großen Kreuzfahrtschiffe wie die `Prinzessin Victoria Luise´, die im Mai auf Amerika- und Weltreise gehen sollten, hatte er schon ordentlich bunkern lassen. Aber wie nach Ålesund kommen? In den kleinen Hafen? Ballin hielt mit Berlin Rücksprache, direkt als persönlicher Freund des Kaisers. Wie Ballin ein Norwegenfreund. Wilhelm II war oft in Ålesund. Er machte dort bei seinen fast jährlichen Nordlandfahrten Station für die Fjordausflüge.

Seine Kaiserliche Yacht `Hohenzollern´ wurde dabei von kleinen Kreuzern begleitet. Zum Beispiel der 105 Meter langen SMS `Niobe´. Die sollte wie andere ältere Schiffe nach dem Winter in eine neue Aufklärungsflottille versetzt werden. War also verfügbar und mit ihrer kleinen Stammbesatzung sofort einsatzbereit. Ihr neuer Korvettenkapitän Hoffmann kannte die norwegische Küste. Von der HAPAG und dem Norddeutschen Lloyd vollgepackt mit Proviant, Decken, Medikamenten dampften gegen Mittag vier deutsche Schiffe nach Norden. Auf höchstkaiserlichen Wunsch, aus seiner Schatulle bezahlt. Etwa 32 Stunden brauchten sie für die 700 Seemeilen. In Ålesund freudig begrüßt, waren sie die ersten internationalen Helfer. Die entladenen Schiff dienten gleich als Notunterkunft. Nach 16 Stunden des schwersten Brandes, den Norwegen seit hundert Jahren erlebt hatte, waren gut zehntausend Menschen obdachlos.

Und wie ein Wunder gab es nur ein Opfer. Die alte Witwe Ane Heen wohnte direkt neben der Feuerwache Lihaugen. Dort konnte es doch nicht brennen – dachte sie. 850 Häuser waren der Raub der Flammen. Die Altstadt und der Hafen großflächig zerstört. Das Prasseln, das Lodern, das riesige schwarze Loch mitten in der Hafenstadt – der Große Brand von 1904 kann nochmals miterlebt werden in einer „Zeitreise“. Die Ausstellung ist in der ehemaligen Svane-Apotek. Nur 15 Fußminuten in die Stadt von unserem Hafenanleger, der nun `Keiser Wilhelms gate´ heißt. Dort ist seit 2003 das Stadtmuseum.
http://www.jugendstilsenteret.no.
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Bei 50% Chance auf einen Regentag eine gute Alternative, denn neben dem historischen Panorama gibt es auch ein wunderbares Cafe. Vielleicht ist der Heil-Geist der noch komplett ausgestatteten Apotheke aus den vielen kleinen Schubladen, Gläsern und Phiolen in den Nusskuchen und Kakao gehüpft und wirkt anti-schnupfig. Statt die mit vielen Plakaten und Fotos erzählten Geschichten vom Wiederaufbau der Stadt ganz im Jugendstil im Museums-Trockenen zu erleben, wollen wir in den Niesel hinaus. Vor Ort.

Direkt gegenüber vom Schiff hält der HopOn-HopOff-Bus. Für 200 Kronen geht es auf einen etwa 90-minütigen Rundkurs durch die Stadt.
http://www.city-sightseeing.com/tours/norway/alesund.htm.
Im typisch roten Doppeldeckerbus rücken wir eng zusammen. Auch um den kleinen Wasserbächen vom nun zusammen geschobenen Sonnendach auszuweichen. Wir haben nämlich einen der jährlichen 200 Regentage erwischt. Der erste – und einzige auf unserer Reise.

Die Fahrt geht nach Westen. Richtung Sunnmøre.
http://www.visitalesund.com.
Hier entstand bereits in der Steinzeit der erste Hafen. Jetzt schließen neuen weiße Bungalow-Viertel an wuchtige felssteinige Kleinstburgen. Am Handelsplatz Borgund-Kaupangen ein schöner Foto-Stop. Durch den verflogenen Regen haben sich kuriose Wolken gebildet in dreierlei Grau. Die hängen jetzt über den alten Booten im Museumshafen. Darunter auch ein `Kvalsund´. Das sind diese flachen und 18 Meter langen Wikingerboote mit dem spitzen Bug, in denen Wickie und Hägar der Schreckliche durch die deutschen Zeitungs-Cartoons schippern. Ob uns auch der Himmel auf den Kopf fällt – wie die Nordmänner immer befürchteten?

Unser nächster Halt ist nämlich der Berg Aksla. `Fjelltun´ heißt `Berghof´. Vom Hafen unten kann man schon die weiße Fjelltun-Panorama-Terrasse sehen. Ein Katzensprung. Fast. Mitten durch die Wohnviertel jongliert der HopOn-Bus. Vor uns und hinter uns Ausflugsbusse vom Schiff und ein Linienbus und Wohnmobile. Kein silbernes dabei, keines aus Holland und doch wird der Verkehr ziemlich zäh. Aber wir schaffen es noch gut bis oben. Tolle Aussicht, aber viel zu kurzer Aufenthalt, nur 5 Minuten. Einige in der Gruppe wollen noch zum Aquarium. Also kaum Zeit zum Auszusteigen, bevor sich der Doppeldecker wieder auf den Rückweg zwängt. Auch eine halbe Busladung Franzosen ist hier. Die andere Hälfte sind wohl Amerikaner. In Minuten ist die Panorama-Terrasse erobert. Zwei Paare haben eine kleine Klappkiste dabei. Sie stellen sich darauf, überragen die Menge und schießen mit ausgestrecktem Arm und ihrem Handy ein Foto. `Selfies´ heißen die. Neugierig frage ich, ob ich mal gucken darf. Schwupp, schwupp mit dem Daumen. Tatsächlich gut getroffen, vorne die beiden professionell lächelnden Touristen und im Hintergrund der Blick hinunter auf die Stadt. Darunter wollen wir. Tapfere Zehn haben sich von der Zahl nicht abschrecken lassen, wollen mit mir die 418 Stufen bis zum Stadtpark zu Fuß bewältigen. 418 – ich zähle nach. Wie der Erfinder der Reiseführer Karl Baedeker (1801-1859).
Der war Buchhändler in Koblenz und ärgerte sich darüber, in den bis dahin üblichen Reisebeschreibungen keine praktischen und exakten Angaben zu finden. Für ihn, der selber gerne auf Reisen war, kam es für seine Tourenplanung auf Details an. Was kostet eine Droschkefuhre vom Bahnhof zur Innenstadt, wie viel Stufen waren wo zu erklimmen? Also mit der Baedeker-Methode alle zwanzig Stufen von der rechten Hosentasche in die andere eine Münze. Unterwegs – neun Münzen und 3 Stufen – eine knorrige Holzbank. Eine kleine Rast um die uns entgegenströmenden Aufsteiger vorbeizulassen. Darunter einige von MeinSchiff. Die haben entweder den Sightseeing-Bus nicht gefunden oder wollten wohl einen längeren Hafenspaziergang absolvieren. Eltern in Erklärungsnot. „Warum müssen wir denn da rauf? Was sehen wir denn da? Wir gucken doch bloß wieder runter! Da kommen wir doch her!“ Da half auch nicht mein Hinweis, dass sie wohl mehr als die Hälfte schon hinter sich hatten. Unser weiterer Abstieg führt uns bald in den Stadtpark. 21 Münzen und 2 Stufen. Vier Treppenstufen mehr als im Reiseführer angegeben, wenn ich mich nicht verzählt habe. Aber ich will nicht glauben, dass die `418´ von den Stadtvätern bewusst und unabhängig von den tatsächlichen Stufen gewählt wurde. Der Nummernwert 418 entspricht der Tarotkarte `Der Wagen´ – Symbol für die Reise und den Beginn des Sommers. Würde ja passen. Und dieser Wagen – auf englisch „Chariot´ war auch ein wichtiges Gewichtsmaß. Im Handel der Hanse und zwischen dem Deutschen Zollverein und den Skandinavier war dies ein Sack von 77,57 Kilo, so viel musste ein Hafenarbeiter auf einer Karre (Chariot) schieben können. Aber das wäre zu sehr um die Ecke gedacht. Vielleicht wurden einfach zwei, drei große Stufen durch mehrere kleine ersetzt?
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Unter angekommen schauen wir nur kurz zur Säule von unserem „Willem Zwo“. Ein beeindruckender Obelisk. Sieben Meter hoch. Immerhin, und kein Stück kleiner als das Denkmal von Rollo, dem Wikinger (860 -932). Der steht aber nicht nur als feines Gesichtsporträt, sondern breitbeinig volleisern und vollbärtig auf seinem Sockel. Den Bart deutlich ungepflegter als der kaiserliche und seine Seereisen waren weltumspannender. Hier in Ålesund soll Rollo Station gemacht haben, bevor er wieder irgendein Reich eroberte. Auf seiner Liste stand England, die Seine ist er bis Paris rauf gerudert, in Island erzählte man sich schaudernd von ihm. Die linke fest an das Schwert geklemmt, weist der rechte Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle. Aber welche? Die fröhlich lärmende Schülergruppe mit blauen Schuljacken jedenfalls scheint das für einen Fingerzeig wie bei E.T. zu halten. „Nach Hause telefonieren“ – für einen entsprechenden Schnappschuss reicht es auf jeden Fall.

Kurz um die Ecke zum Rica Parken Hotel.  Wir treffen wieder auf die HopOn-Linie (Station 4). Die weitere Busfahrt geht zum nördlichen Hafen, hier legen die Hurtigruten-Schiffe an. Zwei weitere Stopps geht es über die Skansengate zur Apotekergata. Hier an der Svane-Apotek hat Apotheker Øwre die Initiative für den Wiederaufbau in die Hand genommen. Über vierzig Architekten haben in nur drei Jahren über 200 Gebäude in der `art nouveau´ errichtet. Vom Kontor über die Schule bis zu den Wohnhäusern. Aus Stein gebaut, nicht mehr als drei Stockwerke und schön sollten sie sein. Auf unserem kurzen Spaziergang entdecken wir an den Fassaden die zahlreichen Blumen und Ornamente.
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An diesen kann man schnell die alte Hausfunktion erkennen. Weinranken an der einschlägigen Getränkefirma, die Eule der Weisheit über einer dicken Kladde, für die an gleicher Stelle wieder errichtete Lateinschule. Unser Weg führt bis zu dem massiven Gebäude aus grob behauenem Natursteinen und in altertümelnden Rundbögen. Die Hauptkirche von Ålesund. Drinnen ist sie von erstaunlicher Feinheit. Viele kleinteilige Glasfenster erzählen von den biblischen Katastrophen und Segnungen. Wir können uns alles in Ruhe anschauen, denn gerade hat ein kleines Orgelkonzert begonnen, da können wird doch nicht durch die schwer quietschende Türe wieder raus. Die Kirche wurde 1909 als fast letztes Gebäude wiedererrichtet. Die Jugendstilarchitekten hatten die Stadt längst wieder verlassen. Jeder konnte jetzt bauen wie er wollte. Nur Stein musste es sein. So kommen jetzt einige Gebäude in das Stadtbild, die eher an mittelalterliche Wehrburgen erinnern, inklusive der schmiedeeisernen Spangen, die früher die einzelnen Geschosse zusammenhielten. An deren martialische Runenform soll man wohl der Hausherren Bekenntnis zu rauen nordischen Geschichte erkennen – gegen das Gekünstelte der Jugendstilfassaden. Die bröckeln an einigen Stellen schon deutlich und die Stadtkasse ist leer. Was in Europa ein einmaliges Ensemble von Bauten aus einer einzigen Stilepoche ist und Ergebnis einer umfassenden Stadtplanung, wird wohl die nächste Finanzkrise nicht überleben. Zu kostspielig – und zu kalt, heißt es. Denn die filigranen Fassaden zwingen zur wenig effizienten und teueren Innendämmung. 200 Regentage jährlich, aber das hatte ich ja schon erwähnt. Jetzt ein heißer Kakao und die in allen Reiseführern gepriesene würzige Schokolade. Aber die gibt es nur noch im Cafe Moagård. Das ist weit draußen im Stadtteil Spjelkavik, noch ein Kilometer über Sunnmøre hinaus. Auch wenn dort Softeis mit Lakritzstreusel locken könnte. Aber unsere Hafenliegezeit stellt uns nur noch vor die Alternative, auf welchen der kurzen Straßen wir zurück zum Schiff spazieren. In zehn Minuten wären wir wieder auf MeinSchiff. Wir folgen dem Blick der jungen Bronzefrau, die als Denkmal für die auf See gebliebenen Lofotenfischer verzweifelt hinausschaut auf die See – `Mot Havet´, `das Meer´. Über das wollen wir heute abend noch zurück.
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Ålesund ist unser letzter Nordlandkreuzfahrthafen.

30.07.2013 Mörderisch spannende Sonnenliegestuhllektüre

Lauschige Leseplätzchen gibt es reichlich an Bord der MeinSchiff. Wem es am Pool auf Deck 11 dank gelegentlichem Whirlpoolfreudengeschrei zu belebt ist, der findet auf Deck 6 bei der Fotoabteilung außerhalb der Öffnungszeiten, also so zwischen 14:00 – 18:00 Uhr ein paar schöne Sitzundschmöckerecken. Ungewöhnlich und meist menschenarm sind die Plätze unterhalb der Rettungsboote auf Deck 7. Auch wer mit dem Buch oder Kindle unter dem Arm über das Schiff wandert, findet immer irgendwo einen Lektürelandeplatz.

Wie immer, habe ich auf der Reise die richtigen Krimis dabei. Die Vorstellung, mit der richtigen Waffe am richtigen Ort unliebsame Zeitgenossen loszuwerden, tröstet über manche, wenn auch seltene Begegnung hinweg. Und mir macht es große Freude, die Seefahrt auch literarisch begleiten zu können.

Vom Hamburg zum Nordkap führt bereits ein Krimi-Klassiker. Der Vater des „Kommissar Maigret“ war sich in seinen Anfangsjahren nicht ganz sicher, ob ein Detektiv auf Dauer reichen würde, wenn dann auch 139 Krimis daraus wurden. Das macht die Nicht-Maigrets um so interessanter. So liefert uns Georges Simenon mit „Der Passagier der Polarlys“ einen komplizierten WhoDunit. Kapitän Petersen meint auf der Fahrt von Hamburg zum Nordkap nämlich einen blinden Passagier zu bemerken, kann ihn aber nicht finden. Und die junge Lady aus Paris, die das Frachtschiff einem Luxuskreuzer vorgezogen hat, liegt reglos in der Kabine. Damit er nicht noch mehr Ärger bekommt, dampft die Polarlys (Polarlicht) stur weiter nach Norden, vorbei an all den Häfen dieser Reise und Sie werden am Ende der 190 spannenden Seiten überrascht sein, wer tot und wer ein Mörder ist (Diogenes 1986, ab 15 Euro).

Heutzutage reisen viele auch einmal mit dem Motorrad zum Nordkap. Wie bei der WoMo-Reise heißt das Tütensuppe, Dosenwurst und Nervenkrieg. Da können dann auch die sonst so sanften „Weiße Nächte“ nichts beschwichtigen. Und es werden auch mal unfreiwillig Opfer gebracht. Der Tod reist mit in der Satteltasche. Ob der Roman von Rainer Gross mehr Reisebericht oder unblutiger Krimi ist, kommt auf die Leseposition an, die Sie einnehmen. Auf dem Sonnendeck bei einer Zitronenlimonade kann die Lektüre sich auch zu einer Selbstfindung wandeln, mit der Frage, warum man nicht länger in einer so schönen Landschaft wie Nordnorwegen unterwegs sein möchte, einfach mal aussteigen, für länger (2008 bei Pendragon, 200 Seiten für 9,90 Euro).

Ein echten und immer wieder mal unentschlossen Aussteiger in Bergen stellt uns Gunnar Staalesen vor. Mit seinem Privatdetektiv hat er bereits 17 Mal die Runde durch die Gassen am Fjord gedreht. Seine Thriller erscheinen auf Deutsch leider immer mit etwas Abstand und nicht in der Originalreihenfolge. So erscheint das Leben des Schnüfflers Varg Veum eher sprunghaft. Von Roman zu Roman jedoch erleben wir den Wechsel von der schlecht bezahlten Sozialarbeit und Jagd nach ausgebüxten Jugendlichen zur unterbezahlten Menschensuche. Der ersten Fall von 1977 heißt im Original „Bukken til havresekken“, was soviel bedeutet, wie den Bock zum Gärtner, genauer zum Hafersack-Verwalter zu machen. So musste sich der Schnüffler vorkommen, der zum einen viel Wert auf sein Privatleben legt, zum anderen einen Hang zum Außergewöhnlichen pflegt. Ausgerechnet er also soll gleich bei seinem erster Auftrag mitten hinein in einen Scheidungskrieg einer Frau, die dem provinziellen Mief von Alesund zu entkommen sucht und in Bergen landet im „Haus mit der grünen Tür“ (so der deutsche Titel). Mit diesem Krimi lernen wir gleich die Viertel und Spelunken kennen, die bei einer Stadtführung zwingend ausgelassen werden. (2001 bei Goldmann,  254 Seiten für 6,90 Euro).

Im letzten übersetzten, dem 14. Fall von Varg Veum geht es „Von Angesicht zu Angesicht“, denn so stehen sich nach zwanzig Jahren die Mitglieder einer linken WG gegenüber. Und wir erfahren viel über die Sinnsuche und Tristesse in einer Universitätsstadt wie Bergen, aber auch wie weit typisch norwegische Lebenswege auseinandergehen können. Mittendrin Erlend Ekerhovd, den früher viel weniger als seine Kommunarden die Rebellion und heute die Karriere interessierte. Ein tödlicher Irrtum (2006 bei Fischer, 288 Seiten für 9 Euro).

Ausgerechnet an Weihnachten lässt Anne Holt in „Gotteszahl“ (Piper 2012 für 5,90 Euro) eine engagierte Bischöfin zu Tode kommen. Weil ihr Fall eine gewisse Prominenz einnimmt, wird aus Oslo ein Team in das verschneite Bergen geschickt. Und genauso wie sich mancher Müll und blätternder Putz unter der weißen Winterdecke verstecken mag, tauchen wir mit der Ermittlerin, der Kriminalpsychologin Johanne Vik, unter die Oberfläche des christlichen Sektenklüngels ein, dem eine zu tolerante und populäre Kirchendienerin zu unbequem wurde und in dem letztlich auch der „Geldbringer“ – so der Originaltitel „Pengemannen“ zählt. Gemütlicher genießt man diesen Krimi dann auch als leicht gekürztes Hörbuch (5 CDs bei Osterwoldaudio, ab 10 Euro).

Um Geld und Doppelmoral geht es auch in Tromsø. An der Universität herrscht Unruhe. „Glaspuppen“ sind zu Schaden gekommen. Studentinnen, die aus Langeweile und Lust allzu nette Fotos im social network platzieren, kommen bei hässlichem Wetter ums Leben. Alle  angehenden Medizinerinnen sind aufgeschreckt. Von der Szene versteht die Autorin Jorun Thørring etwas, sie arbeitet als Gynäkologin in der nordnorwegischen Stadt. „Wenn du den ganzen Tag lang zuvorkommend und höflich sein musst, und wenn du vielleicht einiges runterschlucken musstest, dann tut es gut, sich abends an den Computer zu setzen und jemand umzubringen“, meint die Autorin zu ihrem Hobby. Sie lässt die Morde von einem echt nordischen Ermittler aufklären. Aslak Eira ist Same und alleinerziehender Vater. Das macht ihn gleich zweimal zur mehr bedauerten als akzeptierten Minderheit. Und zäh und leidensfähig. Für den Krimiplot ergeben sich daraus einige nette und Spannung erzeugende Erzählfäden. Und durch Eiras Teenagersohn Niilas lernen wir die junge, wilde Seite der Universitätsstadt mit Kneipen und Musikclubs Tromsø kennen. Und wir erfahren, dass hier bis im Mai Regenmantel und Gummistiefel Pflichtgarderobe sind (2011 bei dtv, 416 Seiten für 8,95 Euro).

In dem demnächst auch als deutsche Übersetzung erscheinenden „Schwarzer Frost“ verbindet Asbjørn Jaklin, der in Tromsø arbeitende Journalist und Historiker die dunkelsten Zeiten norwegische Geschichte mit aktuellen Greuel. Ob Kriegsgefangenenlager unter der deutschen Besetzung oder die Internierungen während des Afghanistankrieges, die Staatsräson biegt sich alles zurecht und der Krimiheld Alexander Winther, wie der Autor Redakteur bei der Zeitung Nordlys, nutzt das Kontaktbedürfnis der Polarnacht, um Licht in die verworrenen Ereignisse zu bringen. Geschickt verbindet der Thriller eine recht konventionelle Mordaufklärung mit einer unterhaltsam geschriebenen Geschichtsstunde (2013 bei Suhrkamp, 320 Seiten für 10 Euro).

Viel tiefer in die Geschichte und den Aberglauben verwoben ist „Der Mahlstrom“ von Frode Granhus. Erst werden Porzellanpüppchen in kleinen Bastkörbchen an die raue Küste der Lofoten gespült, dann sind es Frauen in Puppenkleidern. Tot. Opfer eines grausamen Verbrechens. Für die Inselgemeinschaft ein Jahrhundertereignis und für den Dorfpolizist Hultin eine Jahrhundertaufgabe. Hilfesuchend auf dem Festland kommt ihm zunächst das Bedauern der Kollegen für diesen verlassenen Standort zu und dann Hilfe von Inspektor Carlsen vom Polizeirevier in Bodo. Der ist weniger empfindlich für die mystischen Deutungen und noch weniger überrascht von den weiteren Leichen. Trotz der makabren Opfervielzahl wird das Verbrechen und seine Aufklärung gradlinig erzählt und wir erfahren zugleich etwas über die Insulanermentalität. In der sind Tod und Rache und Schweigen wie der uralte, böse Mahlstrom und zieht alle in seinen tödlichen Bann. Das Licht, die Kälte, die Einsamkeit der Lofoten sind in diesem Krimi immer präsent (2012 bei btb, 384 Seiten für 6,50 Euro).
Lofoten-Krimi

Deutlich leichtere Kost bietet Ulrich Land in  „Der Letzte macht das Licht aus“. Der Uni-Dozent aus Witten/Herdecke wollte seinen Studenten zeigen, dass sich zwei Genres gut verbinden lassen. So entstand in der Serie „Mord und Nachschlag“ ein Norwegen-Krimi mit Rezepten. Eine einsame Insel, einer der letzten bewohnten Leuchttürme, der unerklärlich zu oft aussetzt und deswegen ein paar gekenterte Schiffe in einem der vielen Fjorden. Das ist der Krimiteil, im dem das alte Fischerpärchen Marit und Petter ein zwielichtige Rolle spielt. Und sie sorgen in der schroffen norwegischen Inselwelt auch für den zweifelhaften Kitzel des Gaumens. Da wird zum Beispiel der frische Fang nicht ordentlich entgrätet, sondern begraben und nach neun Wochen in mehr als fragwürdiger Konsistenz wieder in die Küche geholt. Gewöhnungsbedürftig – das Rezept, die Kombination, aber lesenswert (2008 im M&V-Verlag, 280 Seiten für 14 Euro).

Mehr Anregungen und eine gute Übersicht bietet Jost Hindersmann „Fjorde, Elche, Mörder. Der skandinavische Kriminalroman“ (2006 im NordPark-Verlag. 320 Seiten für 22 Euro). Dort wird natürlich die gesamt Region abgewandert, angefangen vom ersten Schwedenkrimi des Duos Sjöwall/Wahlö werden über 100 Autor/innen berücksichtigt. Alles mit weiteren Lesetipps zur Sekundärliteratur.

Zum Schluss etwas für´s Gemüt. Denn das wird durch die lauschige Atmosphäre der Mitternachtssonne mehr als gefördert. Verena Rabe zeigt in „Das Glück in weißen Nächten“ (2012 im Ars Vivendi-Verlag, 213 Seiten für 12,90 Euro) die Lofoten von ihrer romantischen Seite. Ein Hamburger Meeresbiologe und die norwegische Szeneköchin Moa begegnen sich in deren Heimat bei einem Jazzkonzert. Mit den beiden Rucksackreisenden entdecken wir die Inselgruppe nördlich des Polarkreises. (stan)

29.07.13 Tromsø – Tor zum Nordpol

Vom Storsteinen (dem großen Fels) blickt man 420 Meter hinunter in das Tal. Von hier kann man gut nachvollziehen, wie sich Tromsø aus mehreren Inseln zusammensetzt. Wie ein kleiner geschützter Sund wird die Stadt vom Wasser des Nordmeers durchzogen. Kaum zu glauben, dass die Straßenbrücken, die Inseln und Festland verbinden, erst 1960 eingeweiht wurden. Aber die Stadt ist auch erst in der Nachkriegszeit sehr langsam hierher auf die „andere“ Seite nach Tromsdalen gewachsen. Bis in die 50er Jahre war der Ausflug auf die umgebende Hügelkette ein selten geteiltes Hobby. Ohne feste Routen und Wege gehörte eine Portion Abenteuerlust dazu. Und die hatten die Nachfahren der drei seefahrenden Brüder Anton, Charles und Lynn, die mit ihrer Reederei Jakobsen zu den erfolgreichen Geschäftsleuten der Stadt gehörten. Gut, dass Verwandte bei den Banken und im Rat der Stadt saßen, denn die Idee einer Seilbahn schien etwas seltsam. Warum sollte ausgerechnet eine Seefahrernation Gefallen am Gipfelglück finden? Doch die handwerkliche Verlässlichkeit der Schiffsbauer überzeugte und die Fjell¬hei¬sen (Bergbahn, s. http://www.fjellheisen.no) wurde kurz nach der großen Straßenbrücke Tromsøbrua im Februar 1961 eröffnet. Seitdem gehört sie zu den Attraktionen der Stadt. Von hier oben schweift der Blick weit über den alten Polarhafen. Auch ohne Fernglas kann man die Anleger und das futuristische „Polaria“ sehen. Wie fünf übereinander geschobene riesigen Eisschollen birgt das 1998 eröffnete Gebäude neben Aquarien mit allen Seelebewesen, die sich zwischen hier und dem Nordkap rumtummeln, auch ein Gehege für Bartrobben. Die werden unter Mitwirkung des ebenfalls kreischenden Publikums zweimal täglich gefüttert (um 12:30 Uhr und 15:30 Uhr, s.a. http://www.polaria.no/home.155300.de.html).
Tromsö

In einer Ausstellung wird die besondere Rolle vom Tromsø als Tor zum Nordpol dargestellt. Von hier wagte Roald Amundsen (1872-1928) seine Erkundung der Nordostpassage, von hier starteten die berühmten Flugbootexpeditionen. Und in Tromsø wurde der „Erfinder“ der Hurtigruten geboren. Als junger Kapitän wagte Richard With (1846-1930) die Handelsfahrten zwischen den verschiedenen Fjorden und Buchten der Lofoten. Sehr sorgfältig hatte er alle Fahrrinnen und Wetterbedingungen notiert. Die norwegische Krone wollte 1893 zur Förderung der nationalen Einheit die gesamte Küste verbinden. Immerhin  83.283 Kilometer Küstenlinie bei einer Luft-Entfernung von 2.700 km zwischen Bergen und Kirkenes. Die Idee von Kapitän With Post und Waren und Menschen gleichzeitig zu transportieren, war dann ausschlaggebend für die „Schnell-Linie“. 2012 waren es dann auch ca. 450.000 Gäste, die auf den 12 Hurtigruten-Schiffen unterwegs waren.

In Tromsø trafen sie alle zusammen. Die Postschiffer, die Handelskapitäne, die Nordlandfahrer. Und wenn sie sich trafen, dann in der Ølhallen (Bierhalle, http://www.olhallen.no) in der Storgata, mitten in der Altstadt und nur einen Flaschenwurf entfernt von den Schiffsanlegern. In dem zwischen Bergen und Spitzbergen bekannten Brauereikeller gab es Bier. Deutsches Bier.

Ein Bäckergeselle aus Braunschweig – Ludwig Markus Mack – kam auf seiner Walz, also der für die Meisterprüfung vorgeschriebenen Wanderschaft, nach Tromsø. Das war um 1877. Von der Vielfalt des Brotes konnte er die hartgesottenen Seefahrer nicht überzeugen, die brauchten für ihre Reisen einfaches trockenes, haltbares Brot. Aber vom Bier – vom deutschen Bier – hatten diese schon Gutes gehört und Mack war der Sohn eines Braumeisters. Durch die guten Handelsbeziehungen des Hafens konnten die notwendigen Zutaten schnell beschafft werden. Malz kam aus dem finnischen Norden, der Hopfen aus Deutschland, die Gärhefe aus Dänemark, nur das klare Wasser kam aus dem nördlich von Tromsø gelegenen See Skogsfjordvatn auf der Insel Ringvassøya. Inzwischen ist die Brauerei in der fünften Generation, stellt neben 12 Biersorten auch Limonaden her und darf sich „verdens nordligste bryggeri“ – die nördlichste Brauerei der Welt nennen.

Zum 50. Jahrestag ihrer Gründung sollte „Mack Øl“ auch endlich öffentlich ausgeschenkt werden. Der Stadtrat tat sich schwer, denn in den langen Liegezeiten der Walfänger und Kabeljaukutter war der übermäßige Alkoholkonsum ein Problem. Doch in den 20er Jahren häuften sich die Beschwerden der örtlichen Ärzte über zunehmende Vergiftungen der Seeleute. Die hatten entdeckt, dass mit „Denna“ – dem für medizinische Zwecke denaturierten Alkohol oder gar mit dem „scharfen Haarwasser“ aus der Apotheke, das Salicyl enthielt, sich ordentlich etwas für den Rausch zusammenpanschen ließ. Da war also ein kontrollierter und nebenwirkungsfreier Alkoholausschank erstrebenswert. Am 29. Februar 1928, rechtzeitig zum Ende der Polarnacht, eröffneten die Ølhallen. Und durch die für Norwegen ungewöhnliche Schanklizenz durften sie bereits am Vormittag mit dem Bierzapfen beginnen. Aus kluger Voraussicht hatte die Brauereileitung bei der Wahl des Mobiliars an die Trinkgewohnheiten gedacht. Als Tische wurden die gebrauchten Biertonnen, also 42-Liter-Holzfässer gewählt, als Sitzgelegenheit wurden die kleineren Fässer einfach halbiert. Beides zu schwer um damit einen unliebsam gewordenen Mittrinker zu bewerfen. Eine raue Männerwelt – „ingen kvinner“, ohne Frauen. Denn bis weit in die Nachkriegszeit konnte mit Hinweis auf die fehlende Damentoilette deren Zutritt unterbunden werden. Das „tysk Mack Øl“ begründeten den guten Ruf der Deutschen in der Stadt.

Davon profitierten auch die Seeleute der deutschen Kriegsschiffe, die ab April 1940 hier Station machten. Auch das größte Schlachtschiff des zweiten Weltkriegs ging hier vor Anker. Die TIRPITZ. Mit 2.500 Mann Besatzung, Länge 251 Meter, Verdrängung 53.500 Tonnen. Ein Kriegskoloss, der mit seinen über 30 Knoten den Nordatlantik beherrschte. Grund genug für die Engländer diesen auszuschalten.  Im  September 1943 konnten die drei britischen Kleinst-U-Boote X-5, X-6 und X-7 einen Zeitzünder anbringen. Der Rumpf der TIRPITZ schien in die Luft zu hüpfen, die Maschinen wurden allesamt aus den Halterungen gehoben, die Antriebswellen waren verbogen und unbrauchbar. Aus Kiel wurden gleich 400 Werftarbeiter eingeflogen. Nichts half. Die TIRPITZ blieb seeuntüchtig. Unter ihrem neuen Kapitän Weber wurde aus dem Schlachtschiff eine schwimmende Geschützbatterie, die vor einer der Tromsø-Inseln – Håkøya – vor Anker ging. Der Hafen von Tromsø war bis weit hinaus zum Liegeplatz des Schlachtschiffs inzwischen komplett vermint, ein zweiter Coup wie die gezielte U-Boot-Attacke war nicht mehr möglich. Auch ein gezielter Luftangriff war wegen der gefährlichen Reichweite der Bordkanonen nicht drin. So flog am 12. November 1944 die Royal Air Force mit 32 Lancaster-Bombern einen Angriff aus weiter Höhe. 15 Bombentreffer versenkten das Schlachtschiff. Zur Küste waren es nur knapp 2 Kilometer, so trug kaum einer der Besatzung seine Rettungsweste. Mit dem sinkenden Schiff starben im eiskalten Wasser 1.204 Mann Besatzung.

Im seichten Wasser außerhalb der Seewege havariert, ließ man sich mit dem Abwracken der TIRPITZ Zeit. Bis Ende der 50er verwandelte sich der Stahl der Decksaufbauten portiönchenweise in Taschenmesser. Als die große Straßenbrücke Tromsøbrua geplant wurde, konnte auch hierfür einiges Rohmaterial gebraucht werden.

Für den Spaziergang über diese Brücke sollte man den südlichen Abschnitt wählen, denn beim nördlichen rasen auch die Fahrräder auf dieser kurzen Verbindung zwischen den Stadtteilen. Mit spitzen Bleistift hatten die Stadtväter Ende der 50er Jahre ausgerechnet, wie hoch sie den zunehmenden Fährverkehr subventionieren müssten und wie viel der bis dahin vorgesehene Tunnel verschlingen würde. Da kamen die 1.036 Meter der Spannbetonbrücke noch günstig.

Einige von uns haben den Weg dorthin bereits von der Talstation der Fjellheisen gemacht. Eine gute Viertelstunde durch das Villenviertel von Tromsø. Treffpunkt Ishavskatedralen – die Eismeerkathedrale. Zusammen mit Brücke und Seilbahn bildet sie das Wahrzeichen der Stadt. Auch hier die Eisscholle als Vorbild. Elf weiß glänzende, mit Aluminium beschichtete dreieckige Betonelemente schieben sich ineinander, wie ein riesiger Fingerzeig zum Himmel.  Drinnen mit 140 qm eines der größten sakralen Glasmosaike.
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In der Polarnacht vom November bis Januar bleibt die Kathedrale ganztägig beleuchtet. Das bunte Licht ihres großen Ostfensters und die kleinen Lichter auf der Tromsøbrua bilden dann den Rand des topographischen Rahmens von Tromsø. Bis hierhin zieht sich dann allfreitaglich  die „Lysloipe“ – der Lichtweg. Die Pilgerfahrt der jungen Menschen von Tromsø von Kneipe zu Kneipe. Immerhin wollen ja knapp 7.000 Studenten aus 32 Nationen auch im düsteren Winter unterhalten werden. Und bei den Bierpreisen besteht das Vergnügen des Kneipenbummels vermehrt im Bummeln. Von unseren Nordlandtour-Häfen hat Tromsø dazu die besten Voraussetzungen.

Lesetipp: Tor Bomann-Larsen „Amundsen. Bezwinger beider Pole“. 2011 im Mare-Verlag, 704 Seiten für 17,90 Euro. Spitzenberger / Mosler „Reiseführer Hurtigruten – Zeit für das Beste. 2013 im Bruckmann Verlag, 288 Seiten mit über 400 Fotos für 14,95 Euro.

28.07.2013 Nordkapriolen und Polaritäten

Wäre die Erde eine Scheibe, würde sie auch hier im Norden irgendwo aufhören müssen. Doch was dann? Ein möglicher Blick in die Unterkonstruktion der Erde? Der Absturz ins Ungewisse? Die Zweifel über das Nördlichste des Nordens hatten per Beschluss ein Ende, als unter dem Papst Alexander VI (1431-1503), einem durch und durch korrupten Borgia, der sich auch als Immobilienhändler Gottes verstand, für gutes Geld 1496 festgestellt wurde, dass, wenn die Erde keine Scheibe ist, das Neuentdeckte – ob Wasser oder Land – automatisch ein Himmelsgeschenk an die katholische Kirche und ihre Parteigänger sei. Zum Wohle der Menschheit vertreten durch den Vatikan sei dies daher zu bereisen und abzuernten. Entsprechende Erkundungsfahrten dauerten bis 1664 an, als ein Priester aus Ravenna, Francesco Negri, im Auftrag der Kurie feststellte, ja, hier am Nordkap sei ein Ende, aber eben nur das der „bewohnten“ Welt und genau an dieser Stelle könne die Herrlichkeit der Schöpfung in einer Quasi-Pilgerfahrt erlebt werden. Pater Francesco war damit wohl der erste ergriffene Erlebnis-Tourist am Nordkap. Die Phänomene von Nordlicht und Mitternachtssonne hielt er gleich dem biblischen Regenbogen, der Noah das Ende der Sintflut verkündete, für Signale der Himmelsphären.

Was sie ja auch sind. Aurora, das Polarlicht, das in bunten Schleiern über die Erde weht, besteht aus solaren Partikeln. Sie bombardieren an den Polen die dort dünnere und elektrisch aufgeladenere Atmosphäre. Aus der Kollision entstehen längs der irdischen Magnetfelder je nach Brechung des Lichtes und der aktuellen chemischen Zusammensetzung der oberen Luftschichten gelbe, grüne und rote Ovale. Riesenaquarelle am Nachthimmel, wenn es denn Nacht wird. Und nicht wie bei unserer Reise die Mitternachtssonne den Tag verlängert. Die Erde neigt sich hier oben im Norden bei ihrer Umkreisung dermaßen der Sonne zu, das diese es einfach nicht schafft bis unter die Horizontlinie. So standen wir erstaunt abends am Nordkap, konnten ohne Blitz das Wahrzeichen – die große Weltkugel – im grellen Gegenlicht fotografieren und uns bildnachweislich in den illustren Kreis der Nordkaptouristen einreihen. Wer will es bei einem solchen Naturspektakel samt entsprechender sensationeller Fotos schon genau nehmen?
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Denn der nördlichste Punkt des Kontinents ist das überall auf Kaffeebechern, Küchenschürzen und Keramik-Elchen in Regencapes präsente „71° 10′ 16“ (zu lesen 71 Grad 10 Minuten 16 Sekunden nördlicher Breite) keinesfalls. Denn wir sind NICHT auf der großen Festlandscholle Europa, sondern auf einem, dem Kontinent vorgelagerten Schieferplateau, der Insel Magerøya.  Der kleine Spaziergang auf dem befestigten Gelände rund um die Weltkugel zeigt deutlich noch etwas anderes. Auch hier geht es noch nördlicher. Genau 1.380 Meter näher an dem ca. noch 2.000 Kilometer entfernten Nordpol gibt es die Landzunge Knivskjellodden. Also erst nach weiterer einstündigen Felswanderschaft wären wir bei 71° 11’ 08’’ nördlichst. Stimmt aber auch nicht. Denn wenn wir Europa schon nicht nur echt tektonisch-geographisch meinen, sondern auch politisch, dann gehört das sibirische „Franz-Josef-Land“, benannt nach dem österreichischen Kaiser, dazu und dort gibt es das Kap Fligely bei 81° 51′, also viel näher am Nordpol. Aber man erreicht es nur mit russischen Eisbrechern und nur in der Zeit von April bis September.

Das ist beim „Nordkap-Platåetein“ viel bequemer. Erst recht dank „FaTiMa“. Die Fastlandsforbindelse Til Magerøya, also Festlandverbindung zur „Mager-Insel“ ist ein 6.875 Meter langer Tunnel. Um ausreichend tief den Sund zu unterqueren, geht es mit bis 9% Steigwinkel auf maximal 212 Metern runter. Die Röhre ist ein technisches Meisterstück, das 1999 nach nur 5 Jahren Bauzeit von König Harald eröffnet werden konnte. Für die Finanzierung wurde eine Milliarde norwegischer Kronen (etwa 123 Millionen Euro) bereitgestellt, die durch die Mautgebühren wieder reinkommen sollten. Und weder das gesamte Baubudget wurde benötigt, noch dauert die Refinanzierung die veranschlagten 15 Jahre. Billiger und schneller? Das geht?  Vielleicht sollten die Bauherren von Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen eine Besichtungsfahrt zum Nordkap unternehmen. Vielleicht sind ja auch schon welche hier? Deutsche Autokennzeichen mit „HH“ und „B“ stehen jedenfalls reichlich auf dem Parkplatz. Und obwohl der Tunnel seit Juni 2012 mautfrei ist, ist die Besucherzahl nicht sprunghaft gestiegen. Mit über 170.000 Pilgern rechnet man dieses Jahr. Mindestens. Denn alleine heute sind es 1.600 von der MeinSchiff 1.

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Seitdem wir um 16:00 Uhr auf Reede im Hafen von Honningsvåg vor Anker gegangen sind, strömen im Pendelverkehr die Busse über die Insel. Wir saßen in einem dänischen Bus einer schwedischen Firma mit einem isländischen Fahrer. Der schwärmte uns während den 45-Transferminuten von der tollen Saison vor. In nur 5 Monaten wird hier die Touristenernte eingefahren, die das ganze Jahr satt macht. Magerøya – Magerinsel? Das stimmt sowieso nicht. Die Insel macht fett. Und nicht nur die gut 3.000 Einwohner, die sich als Finnmärker verstehen – sagen Sie nie Lappen! Mehr als zehnmal soviel Rentiere sind im Sommer auf der Insel. Mit Lastwagen und Patrouillenbooten hier auf die Insel gebracht, grasen die sich über die Felsen und suchen aus den über 400 Grünpflanzensorten genau ihre Lieblingsspeise heraus.

Cladonia rangiferina. Dem Rasierwasserbenutzer auch als „Isländisch Moos“ bekannt. Die Rentierflechte erobert dank filzig-flächigem Wuchs auch Felswüsten. In ihren hohlen Stämmchen wird die wenige Flüssigkeit so bitter, dass daraus direkt ein Aquavit gebrannt werden kann. Vielleicht wissen das die Rentiere. Jedenfalls verdrücken sie pro Kopf und Tag ganze 2 Kilo Flechte. Damit ist dann am Ende des Sommers die Insel so gut wie rentierflechtenfrei. Die Rentiere jedoch so kräftig und motiviert, dass sie die 1,8 Kilometer zum Festland zurück schwimmen können. Auch die Jungtiere. Ein Finnmärker befragt, weiß noch einen anderen Grund für das Zurückschwimmenlassen. So lässt sich dankenswerterweise der steuerpflichtige Herdenbestand durch fingierte Tierverlustmeldungen mit dem so unsichtbar werdenden Zuwachs auf ein einträgliches Abgabenniveau halten. Ein gutes Rentier nämlich kann schon mal den Preis eines Kleinwagens ausmachen und will versteuert werden. An geschäftstüchtigen Ideen fehlt es hier nicht. Z.B. wer sich bei einem Nordkapmehrfachbesuch – oder der Erzählung darüber – wundert, dass „der Alte Sáme“ (= Lappländer = Finnmärker) beim „Rentier-Shop“, der auf dem Weg zum Nordkap zufällig samt Rentier winkend an der Straße steht, so gar nicht älter wird. Damit die lebensverlängernde Wirkung der zum Kauf angebotenen Likörchen und Schnäpse anschaulich gemacht wird, steht in Sámi-Farben blau und rot und gelb bemützt „der“ alte Sáme von morgens bis abends, tagein, tagaus, Jahr für Jahr vor seinem Originalnachbau-Goahti-Sámizelt. Doch es gibt dank ethnologisch erklärbarer und unseren Detailblick überlistender Ähnlichkeit gleich mehrere Herren, die unter dem Freilichtbühnennamen wie Ándá oder Júvvá oder Mikku den Touristen als Sámi-Fotomodell dienen. Wer auf dem Transfer-Zwischenstopp im großen Holz-Goahti-Shop über die Preise nölt, ist später dann in der Nordkapphallen sprachlos. Bei den Fläschchen und Souvenirs fällt beim Schnellkopfumrechnen von Kronen in Euro eine Null zwar weg, aber da bleiben noch genug.

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Seit 1958 wurde die Steinhalle Nordkapphallen immer weiter ausgebaut. Inzwischen beherbergt sie auch das bereits 1898 gegründete und im typischen dunkelrot gehaltene und drinnen auch noch achteckige Postamt. Hier hätte man auch – wäre es sonntags geöffnet – auch den berühmten Mitgliedsantrag beim 1984 anlässlich der Einweihung des Weltkugelwahrzeichens gegründeten „Royal North Cape Club“ mit einem weiteren Stempel verzieren lassen können. So bleibt nur, ein Deck höher ein Piccolo zu erstehen, mit touristischen Gleichmut 200 Kronen (25 Euro) über den Tresen wandern zu lassen und mitten im Charme einer süddeutschen Bahnhofsvorhalle auf das grandiose Reiseziel anzustoßen, wie es seit 1845 mit der Ankunft des ersten Ferien-Dampfschiffs „Prinds Gustav“ Generationen von Besuchern vor uns getan haben.

Wer polare Trinkatmosphäre sucht, sollte im Heimathafen Honningsvåg nicht nach rechts zu den Tenderbooten abbiegen, sondern links auf der Pier Sjogata um die Ecke in die unscheinbare Kühlhalle mit der Leuchtreklame „artico icebar“ flanieren. Die kleine Videoeinführung dort verrät uns, dass seit 2003 ein spanisches Ehepaar (José und Gloria) ihre Glaziophilie (Eisvorliebe) zunächst für private Treffs in coolem Ambiente nutzte, daraus dann jedes Jahr eine neudekorierte Eisbar entstehen ließ. 180 Tonnen Eis werden bei 5 Grad unter Null aus dem Sápmi-See in kleineren Blöcken herausgeschnitten in 18 Tagen zurechtgeschnitzt mit 2.000 LED-Leuchten in Szene gesetzt und wir können für 135 Kronen im geliehenen Wärmponcho aus echtecoolen Eiswürfelbechern süßes blaues, rotes oder gelbes Zeug (waren das nicht die Samí-Farben) schlürfen. Und doch ist dies einer der seltsamsten Landgänge dieser Reise.

Die richtige Überraschung kam jedoch an Bord. Kapitän Papatsatis legt seinen Fahrplan zur Seite. Die MeinSchiff 1 wird nicht stracks aus dem südlich Hafen rund um die Insel Magerøya  auf Südkurs gebracht, sondern es geht Richtung Nordpol. Wenigstens ein paar Seemeilen. Denn nur hier, irgendwo nördlich fernab des Zipfelchens des Knivskjellodden, ohne Landmassen dazwischen, kann sie gesehen werden. Die Mitternachtssonne.

Es sind ihre letzten Tage. Vergeblich versucht sie einzutauchen. Vor lauter Mühen hat sie schon rote Backen. Vor lauter Eifer ist sie umringt von kleinen farbigen Schweißwölkchen. Aber nichts hilft. Sie kann einfach nicht untergehen. 23:34 Uhr, kaum ein Fünftel ist verschwunden, Sonnendienstverschnaufpause. 00:22 Uhr, Dienstbeginn, wieder den Horizont hinaufsteigen. Die MeinSchiff 1 macht eine 360-Grad-Pirouette. Damit auf Deck 11 die fast komplett versammelte Gästeschar, backbord und steuerbord, staunen, knipsen, filmen kann. Und kein Handy ist aus dem ausgestreckten Arm für das berühmte „Selfie“ – also dem selbstgemachten Selbstporträt – ins Wasser gefallen. Glücklich, wer eine Balkonkabine gebucht hat und sich dank Premium Alles Inklusive mit reichlich Drinks eingedeckt hatte. Der Cocktail des Tages heißt „Neuland“. Amaretto, Orangensaft und Sekt. Natürlich Sekt. Wir sind am Nordkap. Vielleicht beim nächsten Mal mit den Hurtigruten. Die fahren immer so langsam, wie jetzt die MeinSchiff. Und das seit 1893. Das Nordkap ist etwas für Traditionalisten und Wiederholungstäter.
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Lesetipp: Arktis – Antarktis. Katalog der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn, /1998. DuMont 1997, 290 Seiten für 42 Euro. Surftipp: http://www.articoicebar.com

27.07.2013 Leknes – das Erbe der Wikinger

Wie eine lange steinerne Pier ragen die Lofoten westlich von Norwegen, deutlich oberhalb des Polarkreises in das Nordmeer. Kleine Buchten, steile Hänge prägen die über 80 Inseln. Viele eignen sich als natürliche Häfen. Seit fast 6.000 Jahren lassen sich hier Siedlungen der Fischfänger nachweisen. Vor einige Jahren wurde auf der von uns erreichten südlichen Insel Vestvågøy ein `Nausttuft´ entdeckt. Das ist eine große Häuptlingshalle, in der die Wikinger im Winter sich und ihre Langschiffe für die Fahrt über den großen Teich vorbereiteten. Neben Flickwerk an Rumpf und Segeln gehörte dazu vor allem der Proviant. Tørrfisk. Stockfisch aus getrocknetem Dorsch. An den Schwanzflossen zu zweien verbandelt werden sie auf den überall präsenten Holzgestellen an der frischen Meeresluft getrocknet.

Noch immer hängt ein wenig dieser Geruch auch über dem Hafen von Gravdal, obwohl die Kabeljaufangzeit bereits im April zu Ende ging und die meisten Lofotinger längst für Norwegens Ölindustrie oder im Tourismus arbeiten. Der kleine Hafen wird von der MeinSchiff angesteuert, weil sie mit ihrer Länge im Hafen der Hurtigruten in Stamsund den Schiffsverkehr blockieren würde. Gravdal liegt auch nur eine halbe Wanderstunde südlich von Leknes. Der „Hauptstadt“ der Inseln. Wir fahren mit Shuttlebus dort hin. Der Versuch Taxis oder gar einen Bus zu mieten, scheiterte bereits im Vorfeld. Alle acht Busse, alle sechs Taxis sind für die Schiffsausflüge in Beschlag genommen. Selbst aus dem 300 km entfernten Narvik musste Unterstützung angefordert werden. In der Stadt angekommen, schaffen wir gerade noch den Anschluss an den Linienbus in den Süden. Im Hafen war der Kioskbetreiber so nett, anzurufen. Die Fahrerin Berit ist die Nachbarin seiner Schwester. Man kennt sich. Hier im Süden leben etwa die Hälfte der 24.000 Lofotinger. Und hier gibt es noch einige der typischer Fischerdörfer. Ballstadt. Da wollen wir hin. Für die zehn Kilometer brauchen wir 20 Minuten, denn die Fahrt geht über eine kleine Landstraße vorbei an der Fischereischule, am Krankenhaus und dem „hvilehjem“. Richtig übersetzt, heißt das Erholungsheim, aber hier ist es das Pflegeheim für die wenigen Alten, die nicht bei ihren Familien bleiben konnten oder keine mehr haben. Gerade in den früheren Jahre hat die See so manchen jungen Menschen verschluckt und Familien dezimiert.

Leknes auf den Lofoten

Leknes auf den Lofoten

Die See im Nordmeer ist tückisch. Durch die zerklüfteten Ufer, scharfen Westwinde und einem kräftigen Tidenhub ist die Gezeitenströmung zwischen den Inseln Moskenesøy und Værøy so übermächtig, dass hier im 16. Jahrhundert der schwedischen Bischof Olaus Magnus den Eingang zur Hölle vermeinte. Die Geschichte vom menschenfressende Malstrom war in ganz Europa bekannt. Der deutsche Dichter Friedrich Schiller widmetenihm mit „Der Taucher“ sogar 1797 eine Ballade:

„Und es wallet und siedet und brauset und zischt, / Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,/ Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,/ Und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt,/ Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,/ Als wollte das Meer noch ein Meer gebären./ Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,/ Und schwarz aus dem weißen Schaum/ Klafft hinunter ein gähnender Spalt,/ Grundlos, als ging’s in den Höllenraum,/ Und reißend sieht man die brandenden Wogen/ Hinab in den strudelnden Trichter gezogen./ Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefasst,/ Schoß jäh in die Tiefe hinab,/ Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast,/ Hervor aus dem alles verschlingenden Grab.“

Für die mutigen Seefahrer der Lofoten war es aber selbstverständlich dem Nordmeer zu trotzen. In Ballstad Oy (der Inselseite) angekommen stauen wir nicht schlecht, wie klein doch die Kutter sind, die größten, für die Reise zum Nordpol ausgestatteten, waren nicht länger als 15 Meter. Dieses Maß soll den kleinen Booten die Möglichkeit geben, zwischen den Wellenbergen zu manövrieren, ohne verschlungen zu werden. Hier zeigen sich fast zwei Jahrtausende nautischer Erfahrung.

Fischerboote in Ballstad

Fischerboote in Ballstad

Ein bisschen scheint auch die Zeit stehen geblieben zu sein in Ballstad. Wären da nicht die Satellitenschüsseln auf den Dächern. Und das große um die Ecke sausende Wohnmobil.   Silbergrau, holländisches Kennzeichen! Wie in Geiranger? Bei unserem Spaziergang einmal rund um das Hafenbecken können wir direkt in die Vorgärten schauen. Uns ist es eher etwas kühl, doch in Bikini und Badehose wird hier eifrig gewerkelt. Wochenendler? Die Autokennzeichen verraten mir etwas. In Norwegen zeigen zwei Buchstaben und fünf Ziffern die Zuordnung an. Die Nordlandregion der Lofoten hat YT bis YY. Also Einheimische. Wenigstens die Autos. Die behalten nämlich auch beim Verkauf ihr Kennzeichen unabhängig vom Besitzer. Aber wer in Oslo will schon ein meeresalzwasser-und-landstraßenlöcher-gepeinigten Volvo. Beim näheren Hinschauen auf die Vorgartenaktivitäten wird der mühsam getrocknete Fisch wieder eingeweicht. Soll das Lutefisk werden? Freundlich erhalte ich ein Ja und das Angebot für ein Pröbchen. Danke. Nei takk. Der gelatinös gewordene Kabeljau wird mit etwas Speck und etwas mehr Aquavit verzehrt. Wer´s mag. Gut das Berit und der Linienbus Nr. 18-766 uns in 15 Minuten zurückbringt. Und an Bord gibt es ja auch Fisch, aber eben in mitteleuropäischer Machart. Wer es mal typisch will, hier mein

Lesetipp: Rannveig Moroldsdotter „Kochen wie die Wikinger. Historische Rezepte“. Zauberfeder-Verlag 2012. 208 Seiten für 19.90 Euro. (stan)
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26.07.13 Lucky Lachs und Welldone Wagyu (2. Seetag)

Die Lachse im Geirangerfjord springen ungläubig immer wieder am frischen Sprudel der Wasserfälle auf. Unklar ist, ob sie wissen, dass sie sich in klarstem, tausend Jahre altem abgeschmolzenen Eis tummeln? Klar ist – „Tausend Mal gehört“ – ihre Kreise müssen sie zur Peer-Gynt-Suite ziehen. Als gäbe es keine andere norwegische Stimmungsmusik zu der die weißen Kreuzfahrtschiffe durch die schmale Wasserbucht tuckern könnten. Wie beschwingt wäre die Panoramafahrt, wenn über die Bordlautsprecher Kari Bremnes, die auf den Lofoten aufgewachsene Jazzsängerin erklingen würde. „Norwegian Mood“ (Norwegische Stimmung) oder vom 2012er Album „Og Så Kom Resten Av Livet“ (Und dann kommt der Rest des Lebens). Dann wüssten die Lachse wenigstens Bescheid. Wüssten von ihrem Ende auf dem Fischmarkt am „Torget“ von Bryggen. Wüssten davon, für gute Kronen auf den Bord-Speisekarten zu landen. Hauptrolle des Fischbüffets zu sein, verschafft den Lachsen dann auch von dem kleinen Podest der weiß gedeckten Tafel einen guten Überblick zur Rechten und zur Linken. Die gesamte Atlantiknachbarschaft ist da. Königskrabben, Austern, Heilbutt. Einige Fische werden für eine Extrarolle in der GOSCH-Show gecastet. Das hat kein anderes Kreuzfahrtschiff: Eine täglich geöffnete Gourmet-Fischbude. Ganz im GOSCH-Look rot und weiß. Und was den Erfolg des als Schickimicki-Fischbude auf Sylt begonnenen Unternehmens ausmachte: zur Fischfrikadelle auf die Flosse perlenden Sekt. „Stößchen, Stößchen“. Wer´s mag.

Eine weniger tragische, eher tragende Rolle spielen auch all jene Seebewohner, die es vor die Kamera geschafft haben und nun in den ewigen Fischgründen der virtuellen Aquarien auf Deck 5 bis Deck 7 mit unermüdlichem Gleichmut daher schwimmen. „Nein, das Wasser wird nicht täglich frisch gewechselt“; „Ja, das sind richtige Fische“ – aber eben auf Video. Die Einspielfilmschleife muss über zwei Stunden lang sein. So scheint es. Je nach Wochentag mit und ohne versenktem Anker. Zur Spannungssteigerung auch mal mit einem blitzschnellen und gefährliche Kapriolen schlagenden Rochen. Meist jedoch geht es ruhig und beschaulich zu, wenn der gelbe Doktorfisch (Acanthuridae) mit einer blauen Azur-Demoiselle (Chrysiptera hemicyanea) gemächlich von links oben zum kleinen Bildschirm rechts unten promeniert. Eine echte Meditationsquelle.

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Davor Schiffsgäste mit verklärten Fischblick und meeresblauen Curacao-Drink oder locker auf dem Hocker mit guppygelber Sternfrucht im trockenen Martini. Nicht geschüttelt, sondern gerührt. So wird das Ganze zur echt maritimen Seh-Reise. Wenn unten auf Deck 5 der Pianist zur musikalischen Lesung von „Moby Dick“ in die Tasten greift, wird es Zeit weiter zu wandern. Mit den wogenden Wellen der Gäste geht es über Deck 7 Richtung „Neuer Wall“.

Wagyu-Burger2Mit schöner Kreideschrift preist sich unterwegs ein „Wagyu Burger“ an. 200 Gramm zarteste Versuchung im Surf&Turf Steakhouse. Warum Surf? Ruhiger Seegang, spiegelglatte See, kein Schaumkrönchen weit und breit? Warum Turf? Das ist doch der Rasen der Galopperbahnen? Keine Pferde zu sehen? Die werden doch nicht nach der Devise „Vierbeiner ist Vierbeiner“ ihre Steak-Kühlräume mit Ross-Braten gefüllt haben? Nein. Die Sachsen und Holsteiner werden es wissen. „Surf&Turf“ ist eine Restaurantmarke aus Leipzig und Ahrensbök, die zusammen aus regionaler Haltung Beef & Lobster für pferdesportbegeisterte Zaungäste im Programm hat und eben wie GOSCH als kulinarischer Garantiepartner für MeinSchiff eingeworben wurde. Nun gut, ein Burger soll es sein, aber ein besonderer. Ein Wagyū Burger. Das ist Rindfleisch mit Musik. Nicht mit Stehgeiger als Verdauungsmusik. Nein, mit Musik gezüchtet. Weil das bekanntere Kōbe-gyū  / Kobe-Rind nur in seiner fernöstlichen Heimat so heißen darf, wird daraus für den Export Wa-gyū, also Japan-Rind. Die schwarzen Riesen bringen gut 1000 kg auf die Waage und den Schlachter entzückt die „gut ausgebildete und innen marmorierte Hinterhand“. Das Rind entzückt Musik. Wie fast jeden Japaner europäische. Mozart also, manchmal Beethoven. Was könnte passen? Köchel-Verzeichnis KV 382d auf jeden Fall oder die sanfte „Kleine Nachtmusik“ (KV 525). Es soll ja die Tiere schläfrig und friedlich stimmen. Bevor ihnen das scharfe Messer durch die Kehle gleitet, dazu vielleicht Beethovens Fünfte in c-Moll opus 67, genannte die „Schicksalssinfonie“. Denn auch das Ende allen Edel-Rinderseins endet in steakfähigen Portionen. Ob die Lachse bei Beethoven statt Peer Gynt vielleicht auch weicher und größer werden? Dann aber keinesfalls „Fidelio“, denn die gilt als „Befreiungsoper“. Aber wie in deren zweitem Akt kommt quasi mit Trompetenschall der Chef(-Koch), fragt, ob alles okay war, ja well done, und welches der fünf Salze wir gewählten hätten. Bei mir war es ein grobes Rauchsalz, ich glaube es hieß „Hickory“, aber das muss ich nochmals nachlesen. Und das man im übrigen natürlich für die Lieben daheim auch an Bord kaufen kann.
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Lesetipp zum Fernsehsternekoch Alfons Schuhbech „Meine Küche der Gewürze“. Zabert Sandmann Verlag 2009, 400 Seiten für 14,95 Euro.

Hörtipp: Edvard Grieg „Peer Gynt Suites“, eingespielt 2008 vom Gothenburg Symphony Orchestra unter Neeme Järvi, Deutsche Grammophon Classics ab 7 Euro. Beginnen Sie aber nicht mit der sanften „Morgenstimmung“, sondern „In der Halle des Bergkönigs“. Filmkenner werden bemerken, dass die frühen deutschen Tonfilme, wie Fritz Langs „M“ (1931) sich hier ordentlich bedient haben. (Stan)

25.07.13 Geiranger – sieben Schwestern und ein Adler

Hellblonden Mädchenzöpfen gleich, hängen weiße Wassersträhnen über die steilen dunkelgrünen Abhänge ins Tal hinab.

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Je nach Bordreiseleiter knüpfen sich daran unterschiedliche Legenden. Meist sind es frisch collagierte Versionen, für deutsche Ohren als Mix aus Grimm´scher Rapunzel und Heine´scher Lorelei. Danach versammelten sich hier die „syv søstre“ – sieben Trollmädels. Zunächst nur um das vom Nordwind zersauste Haar zu kämmen, später, älter und selbstbewusster dann auch, um auf der gegenüberliegenden Fjordseite ihre Trollverehrer mit den Locken zu verlocken. Dabei dient dann die Siebenzahl als Beleg für uralte quasi biblische Bedeutung, kulturübergreifende Glückszahlen oder den Hinweis, dass es im wärmeren Süden ja auch die Sieben Zwerge gäbe, wobei dann offen bleibt, was die mit Kämmen oder Wasserfällen zu tun gehabt haben. Ganz und gar neuzeitlich wird dann die Erklärung des gegenüberliegenden Wasserfalls „Friaren“. Dem Photographenauge soll bei dieser Naturschönheit die Flaschenform auffallen. Und dazu wird dann die Geschichte eingeschenkt, der „Freier“ sei der erfolglos um die „Sieben Schwestern“ buhlende Nachbarstroll gewesen, der sich dann – statt ins nächste Tal und zu heiratswilligeren Damen – in den Alkohol geflüchtet hätte. Das scheint mir eher eine norwegische Gegenwartssicht zu sein. Und außerdem – in der Flasche ist ja nichts Gebranntes, sondern frischestes Quellwasser. Das jagt nämlich mit jeder Schneeschmelze vom Fjell, dem Hochgebirge, 300 Meter in die Tiefe.

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Ein Naturschauspiel, das eher zufällig von einem der Dampfer beobachtet wurde, der eigentlich wieder zurück wollte in den 100 Kilometer langen Stjurfjord und als Umweg im nur 15 Kilometer lang Geirangerfjord gelandet ist, das war so um 1858. Seitdem kreuzen hier die Touristenschiffe auf und vervielfachen stundenweise die knapp 300 Seelen umfassende Bevölkerung. Heute sind es gleich zwei große Pötte. Die Campingurlauber an den Ufern paddeln an uns heran. Und nun werden wir zum Fotomotiv. Bestaunt. Belächelt. Bedauert. Die eigene Reise-Freiheit betonend. Dabei haben eigentlich die Wohnmobilisten und die Kreuzfahrer einiges gemeinsam. Trotz engem Platz sich bequem einrichten, wenn´s geht täglich eine neue Landschaft entdecken, durch die Selbstversorgung „an Bord“ kann vor Ort budgetschonend die eine oder andere Köstlichkeit „on top“ genossen werden. Und es gibt immer einen Kapitän, der die meuternde Mannschaft – „ist doch so schön hier“ – zum Aufbruch zwingt.

Die Kajaks kommen näher. Von Smartphones, die in eine wasserfeste Brusttasche passen, werden wir klick-klick-klick abgelichtet. Hier im flachen Wasser liegend und die Häuser von Geiranger überragend, müssen einen seltsamen Anblick abgeben. Als ob ein großer Eisbär sich in eine kleine Badewanne legen wolle.

So sieht es auf jeden Fall aus, wenn man sich über die Serpentinenstraßen in die Höhe schraubt. Auf 1472 Meter zum Dalsnibba.
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Tief in den Geirangerfjord sehen wir hinunter. Rechts und links schneebedeckte Gipfel. Unten das große Schiff im kleinen Fjord. Ringsum das Eis viele abertausende Jahre alt. Von hier schlürften mit dem Ende der Eiszeit riesige Felsbrocken mit dem Schmelzwasser die Rinnen Jahrhundert um Jahrhundert zu Tälern. So entstand diese aberwitzige Fjordlandschaft – wenn man nicht der Theorie im Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams folgen möchte. Zittrige Weltraumplanetenarchitekten wie Slartibarfaß hätten mit Norwegen eher zufällig nur noch eine gekritzelte Uferlinie hinbekommen.

Die Fahrt zum Dalsnibba haben wir mit einem Linienbus von Fjord1 angetreten. Im Bus nur noch eine südkoreanische Austauschstudentin aus Bergen. So können wir das englischnuschelnde Tonband abstellen lassen. Es sind auch mehr die grandiosen Ausblicke als die Zahlen, die zu bestaunen sind. Daher diese schnell untergebracht. 1880 entstand in Geiranger die erste Poststation für die Tierfelljäger, die vom Gebirge in das Tal runter wanderten, um Ware gegen Ware zu tauschen. 1893 das erste Hotel. Bis heute in Familienbesitz, bis heute größter Arbeitgeber, bei dem die Hälfte des Ortes Vier-Sterne-Komfort zu liefern weiß. Die Serpentinen Kurve um Kurve weiter, ganze 600 Meter hoch, zur  „Adlerkehre“. Der Name soll vom Umstand stammen, dass sich Adler bis hier „herunter“ trauen mussten, denn weiter höher im baumlosen Bereich des Fjell war kein fangfähiges Getier mit noch scharfen Blick zu erhaschen. Hier an der „Adlerkehre“ trennt sich der Weg. Über den Gebirgskamm geht die alte Passstraße nach Westen weiter nach Hellesylt. Wir wollen in den Süden. Auf 1016 Meter liegt der See Djupvatnet. An dem kommen wir auch auf dem Rückweg vom Dalsnibba vorbei und so lässt sich viel schöner die Spiegelung von Wolken und weißen Gipfeln im klaren Bergsee erblicken. Wahnsinn. Für meinen Wolkenkatalog gleich eine paar neue Fundstücke. Björn, der Busfahrer muss sich jetzt konzentrieren, obwohl er die Strecke schon seit 22 Jahren fährt. Täglich drei Mal. Aber runter bremst es sich halt schwerer. Und der Verkehr ist am Nachmittag deutlich dichter geworden. Die WoMo-Karawane zieht weiter. Es wird eng. Uns entgegen kommt ein silbergraues Ungetüm mit holländischem Kennzeichen. Um wohl nicht abzurutschen fährt es `sicherheitshalber´ genau auf der Mitte der Straße. Unpraktisch. Und es gilt „Runter vor Rauf“. Unpraktisch. Da hilft nix. Kräftiges Hupen der gesamten Kolonne hinter uns macht dem Weitgereisten klar, dass hier auf Gebirgshöhe flachländisch sturer Widerstand zwecklos ist. Trotz der hellblonden Zöpfe – wie bei den Sieben Schwestern – die Beifahrerin muss raus, der Rückwärtsgang muss rein und das fahrende Eigenheim muss gebändigt an den Rand. Dies ist wohl nicht nur für unsere Reisetagebuch ein kleine Geschichte. Wieder im Ort angekommen, schnell hoch ein Trollfoto.

Geiranger-4Hier sind die auf der Reise größten Exemplare. Schnell noch ein Softeis, hier gibt es die auf der Reise kostengünstige (und dank Zuckerstreusel kalorienreichste) Portion. Und im Tenderboot nicht so schnell. Damit es einen Platz am engen Einstieg gibt. Von hier an der Rettungstür können nämlich die schönsten Außen-Nah-Fotos von der MeinSchiff geschossen werden.

24.07.13 Bergen – nordisches Seefahrerparadies

Bergen rühmt sich der meisten norwegischen Kreuzfahrtschiffsbesuche, des größten Freiluftfischmarkts und der mutigsten Drachenflieger Norwegens und mit 270.000 Einwohner zweitgrößte Stadt Norwegens zu sein.

Über den Landweg sind es hierher gut 480 km von der Hauptstadt Oslo. Weit genug, um sich für viele Jahrhunderte die Steuereintreiber vom Hals zu halten. Vom Rosenkrantz-Turm der Seefestung aus dem 14. Jahrhundert konnte man weit in die natürliche Meerenge hinaus schauen. Gute Seemannspflicht war und ist es Flagge zu zeigen. So kann bis jetzt Art und Herkunft der Schiffsankünfte erkannt werden. Heute konnte der Herold gleich fünf vollbauchige Kreuzfahrtschiffe, darunter gleich zwei die unter dem Malteserkreuz auf Fahrt gehen, an die Handelskontore vermelden. Welche satte Prise. 7.000 Köpfen mit bestimmt prall gefüllten Geldsäckeln. Dafür macht sich die Stadt am Fjord mit sonnigem Lächeln schön und verschweigt ihre erst in der vergangenen Woche Wahrheit gewordene nasse Seite. Bei 202 Regentagen in 2012 hat es die Wetterfee mit uns gut gemeint. Nicht so jedoch der Hafenkapitän.

Die MeinSchiff 1 wurde wegen der ebenfalls ankernden AIDA weg vom alten Handelsviertel Bryggen in den zweiten Hafen verwiesen. Dafür hat man von hier an den Dokkeskjaerskaien bei Ein- und Ausfahrt einen viel abwechslungsreicheren Blick auf das bunte Nebeneinander der Häuser, Ufer und Kontore von Bergen. Alte Containergebäude aus der Zeit der Nordseeöl-Euphorie liegen neben Beton-und-Edelstahl-verkleideten Luxusappartements mit unverbautem Seeblick. Zwischen den Backsteinjugendstil des alten Univiertels haben sich neo-postmoderne Betonklötze der Versicherungen und Reedereien gedrängt und müssen nun still den auf ihre glatten Wände gesprühten Graffiti-Protest ertragen. „Ikke blod for olje“ – kein Blut für Öl. „Øl prisen ned“ – Bierpreis runter. Das eine längst überwundene Vergangenheit, das andere schlägt Wunden in jedes Partybudget, wenn die 0,3-Liter-Flasche (!) Bier im Supermarkt 4 Euro kostet.

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Die Autofähre der Fjordline legt gerade an. Klapprige Studenten-Renaults, die den Weg über die erst vor wenigen Jahrzehnten fertig gestellten Straßenbrücken der Fernstraße E 68 aus Oslo sich nicht mehr zutrauen, reihen sich an eine Kolonne von rucksackbepackten Motorrädern, die von hier auf Nordlandfahrt gehen.

Für uns geht es mit dem Shuttle in die Stadt. 10 Minuten Busfahrt. Nahe der Haupteinkaufspassage Torgalmenningen steigen wir in einer ruhigen Nebenstraße vor der Kunsthalle aus und sind in weiteren 10 Fuß-Minuten mitten im Fischmarkt am „Torget“. Die Augen und die Nasen auf. Fisch und Seeungeheuer in allen Farben und Größen. „Ja, die Königskrabbe gibt´s auch als Fishburger“. Schnell im Kopf umgerechnet – Kurs der Norwegischen Krone etwa 1:8 – und das „Fischbrötchen auf die Faust“ würde im Portemonnaie das Loch eines heimischen Restaurantbesuches reißen. Also schnell weiter. Der „Bergens Expressen“, das beliebte und schnell ausgebuchte Touristenbähnchen wartet schon. Diese Jahr haben die Express-Damen grellgrüne Polo-Shirts an: „Dann sieht man uns schneller“. Und sie sprechen noch mehr Sprachen. Ein bisschen Chinesisch, Russisch und Portugiesisch ist neu. Kaum zu glauben. Iberocruceros bringt auch Portugiesen in den Norden.

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Auch normalverdienende Portugiesen machen Schiffsreisen? Die Eurokrise muss überwunden sein! Denn die Forschung hat zwei eher seltsam anmutenden Feststellungen gemacht: a) der Kostenindex eines Landes kann über den  einfachen Vergleich der Preise für einen MacDoof-Standard-Hamburger und eine normale Kugel Schokoladen-Eis erfolgen und b) der Wohlstands-Index zur Ermittlung des nationalen Lebensstandards verläuft parallel zum Prozentanteil von Kreuzfahrern an den Gesamtreisenden.

Nach den Touristengruppen in den engen Gassen in Bryggen, dem alten Hanseviertel von Bergen zu schließen, sind die Chinesen auf der Wirtschaftsleiter ganz schön weit nach oben geklettert. Das wird die Kunsthandwerker in den vielen Shops erfreuen. Denn so haben die kleinen Silbergeschmeide mit nordischen Runen und Steinschnitzerarbeiten von mehr oder weniger mächtigen Gottheiten eine gute Chance, fernab von Norwegen neue Heimaten im chinesischen Shanghai oder Chongqing zu finden, da sie mit dem Übergepäckbestimmungen und den Feng Shui Regeln in Einklang zu bringen sind.

Da wir nicht fliegen müssen, darf´s für unsere Reisegruppe auch etwas Größeres als ein Schmuckanhänger sein. Zum Beispiel diese schön geschnitzten Holzfiguren? Wir haben die Devise ausgegeben, dass jedoch jeder erworbene Troll nicht nur bis zum eigenen Vorgarten auch mit eigener Manneskraft transportiert werden muss, sondern auch das Zwischenlager auf der eigenen Kabinen erfordert, was am besten einen Balkon voraussetzt. Apropos Lebensgröße der Trolle. Da gibt es für Skandinavien wohl noch keinen TÜV und keine DIN Norm. In Island sollen diese Trolle nämlich nicht größer als Kaninchen sein, auf denen sie zu reiten pflegen, in Schweden sind diese immerhin schon pumuckelig gewachsen auf fast die Größe von Kindern, um mit selbigen zu plaudern. In Norwegen wird die mannshohe Version in den Souvenirläden dann damit erklärt, Trolle stammten vorzeitlichen Riesen ab. Der gesamtskandinavische Troll jedoch hat jedoch einheitlich große Nasen, noch größere Füße. Dazu wuselig buntes Haar und zerrissene Hosen. Letzteres macht ihn leider verwechselbar mit lebensechten Durchschnitts-Teenager, die sich mit gleicher Frisur und Beinbekleidung auch durch die Straßen von Bergen trollen.

Jetzt sitzen alle unserer Reisegruppe in dem kleinen Elektrobähnchen von `Bergens Expressen´. Da wir vorausschauender Weise reserviert hatten, wird der Lautsprecherkanal auf „3 – Deutsch“ gestellt. Die vier zu uns gruppierten Italienerinnen müssen sich für ihre Sprachversion mit Kopfhörern begnügen. Laut protestierend, dass sie keine „passenden“ Kopfhörer wählen können. Meinten die vielleicht „farblich passend“? Aber welche Farbe passt schon zu toupiert silberblond mit lila Strähnchen?

Mit einem Rumpeln geht es los. Vorbei am Fischmarkt, vorbei am Einkaufsboulevard. Zum Alten Rathaus. Den Berg rauf. Hier liegen seit gut zweihundert Jahren Seniorenheim, Peststation und Friedhof direkt nebeneinander. Was will uns das sagen? War unseren Vorvätern Alter, Krankheit, Tod eine untrennbare Einheit? Der „Bergens Expressens“ biegt ab ins Villenviertel unterhalb des Berg Floien.

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Mit nur 320 Metern wird dieser auf Platz 2 der örtlichen Hausberge gedrängt. Der „Ulriken“ mit 647 Metern überragt ihn, nicht nur höhenmäßig. Hinauf auf den Ulriken sind es 6 Minuten, wenn man die Wartezeit an der Talstation nicht dazu zählt. Für 1.138 Meter Seilbahnstrecke ein flottes Erlebnis. Da hat man auch kaum Zeit über die 40 Meter Abstand zum Boden nachzudenken und schafft es wohl auch kaum, sich ein Ausstieg-Szenario zu überlegen – für den Fall des Falles – oder auszumalen, wie man denn von den in Richtung Seilbahnkabine hochgewachsenen picksigen Kiefern heruntersteigen könnte. Diese Frage müssen sich jedes Jahr einige der mutigen Drachenflieger stellen.

Die Thermik bringt sie zwar galant und geschwind den Ulriken hinauf und oben lässt es sich auch wundersam und bewundert schöne Kreise ziehen. Doch die Waldhänge haben so manche Rückkehr um einen Zwischenstopp in den Baumwipfeln und in der Gipsstation der örtlichen Krankenhäuser verlängert – wenn´s dann nichts Schlimmeres ist.

Da ist der Abstieg vom Floien – zumal zu Fuß – harmloser. Er führt – wie auch die Bähnchenfahrt – durch das alte Viertel Sandvik. Die Hafenarbeiterwohnungen waren von den Stadtvätern vorausschauend für eine eher sechsköpfige Standardfamilie angelegt worden, so dass die heutigen 2,5-Durchschnittsbewohner ordentlich Platz haben. Und was zur vorigen Jahrhundertwende als möglichst zu meidende Mühsal galt, nämlich der Weg den Berghang hinauf, ist heute des Fjordblickes wegen mehr als begehrt. Das Viertel birgt auch hinter seinen weiß getünchten und bunt geränderten Fassaden manche quellenbelegbare Anekdote.

So die von den Seemannsbräuten, die sich – meist friedlich – einen Gatten teilten. Dies aus gutem Grund, so den durch die seeleute-fressende Nordsee entstandenen Männermangel auszugleichen und nach gutem Plan, nämlich wochentagsweise. So gab es in Bergen denn neben den Samstags- und Sonntags-Gesellschaften (Lørdags und Søndagskorps), in denen sich die Stadtvierteljugend als Musikkapellen organisierten, sondern sicherlich auch Donnerstags- und Freitagsbräuche, wenn man denn einen – und nur einen Mann brauchte. Was sicherlich die „Morsom Enke“ (lustige Witwe) bezweifelte und gleich Männer scharenweise beglückte. Anders freilich. Sie glaubte nämlich, die kostenpflichtige Schanklizenz entbehren zu dürfen, wenn sie nie kneipvolle Flaschen zum Verkauf anbot, sondern je nach gelüpfter Rockhöhe (mehr Bein, weniger Wein) angeleerte Flaschen. Histörchen, wie sie in jeder Hafenstadt ausgemalt werden könnten. Während sich die Geschichte von der „bombigen Geburtstagsfeier“ – dem Himmel sei Dank – nur in Bergen ereignete.

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20. April 1944 – „Führer Geburtstag“. Bergen war, wie auch Narvik und Trondheim, zum deutschen Kriegshafen hochgerüstet worden. Im Laufe der Atlantikschlachten kehrten immer weniger deutsche U-Boote und Schlachtschiffe in die Stützpunkte zurück. Diese quollen bald über von Torpedos und Munition. Zugleich wurde jeder auch nur irgendwie bordtaugliche Soldat auf die See geschickt. Wer zurückblieb schob Wache um Wache. Manches Mal wohl nicht immer wachen Auges oder mit der gebotenen Sparsamkeit. So im Frühjahr ´44. Wann, wenn nicht an „Führers Geburtstag“ sollte mal ein Auge zugedrückt, ein Tässchen Rum und ein Stumpen genossen werden. Das Rauchverbot auf  dem Munitionstransporter „Voorbode“ war nur einer der vielen Befehle. Und nur einer derjenigen, die missachtet wurden. Ein Riesen-Wumms erschütterte den Hafen Bergen in der kalten Aprilnacht. Die Wochenschaupropaganda sprach von einem infamen Attentat auf die abendlandverteidigenden deutschen Besatzer und einem feigen Geschenk des norwegischen Untergrunds. Die Polizeiprotokolle vermerkten jedoch eine Brandentzündung und vom Munitionstransporter ausgehende Kettenreaktionen. Den fielen neben den Wachsoldaten auch einige hundert Zivilisten zum Opfer. Die Sprengkraft war so mächtig gewaltig, dass der Traditionsanker des Hafenmeisters von der Pier bis weit zur Marienkirche in Sandvik geschleudert wurde.

Die Fahrt führt uns gerade an der steinernen zweitürmigen Basilika vorbei. Gegründet um 1130 und daher dem Vorbild des Doms zu Speyer zum Verwechseln ähnlich. Hier haben die Hansekaufleute, meist aus Lübeck oder Hamburg, Stralsund, Rostock und Wismar, über Jahrhunderte ihre Dankgottesdienste abgehalten, wenn wieder einmal eine ihrer Handelsfahrten glücklich und voll beladen in Bryggen Anker werfen konnte. An den gut erhaltenen Holzhäusern des Hanseviertels lässt sich durch die Embleme ablesen, was alles wohlfeil geliefert und über die langen Kontortische gehandelt wurde. Unsere Fahrt endet direkt vor dem Geschäft mit den herrlichen Eissorten. Über deren Ladentisch wechselt nun – auch für einen ziemlichen Batzen, die Kugel zwei Euro – so was wie Leckerlakritz und Schlümpfeblau. Das gibt’s nicht an Bord.

23.07.13 Ringelpulli trifft auf Pink Lady (1. Seetag)

Vom Dress Code auf der schwimmenden Shopping Meile

Stellen Sie sich einmal vor – und das geht besonders gut, wenn Sie Hamburg ein wenig kennen – der „Neue Wall“ führt nicht zum Jungfernstieg, sondern zur „Aussichtsbar“ und die liegt dann nicht an der Alster, sondern auf Deck Sieben. Aber sonst müssen Sie sich kaum umstellen. Steakhouse, Vinothek, Geschäfte. Dort natürlich Guess, Aigner, Hilfiger, Esprit. Eine komplette, aber eben schwimmende Shopping Meile. Schon der römische Dichter Ovid (ca. 43 v. Chr.) wusste in seiner kleiner Philosophie vom „Kunststück der Liebe“ (ars amatoria), worauf es ankommt: Sehen und gesehen werden. Und so lungert vor der bordeigenen casual fashion Boutique  „Mein Lieblingsstück“ auf Deck 7 mit mir ein weiteres Quartett Männer rum, die ab und zu gezwungen werden, hinzuschauen und durch Gesichtszüge non-verbale Kommentare an kaufbereite Partnerinnen mit kauferwählten Stücken durch die große Schaufensterscheibe abzugeben. Besser als drinnen. In dieser für Männerlungen giftigen Ballung von „Chanel“ (süßlich), „Gucci“ (blumig) oder „Bulgari“ (insektozidär) sich verbale Beiträge abzuringen. „Eigentlich recht nett“, „Passt doch ganz schön“, „Wie gemacht für Deine Schuhe/Handtasche/Haarfarbe/Badetücher …“, „Für den Preis doch fast geschenkt“. Was weder überzeugt, noch den Prozess der Auswahl abkürzt. Also lieber draußen vor der Tür. Und dafür etwas stärker in der Ausdauer gefordert. Dass nur 56 % der Deutschen mit ihrem Gewicht zufrieden sind, lässt sich an den weiblichen Rückkommentare durch die Scheibe als Feldexperiment nachweisen. Einen weiterer Beweis findet man für den unaufhaltsamen Siegeszug des „Pink“. Vor einer Generation noch war das zarte Rosa Barbie und später Lillifee vorbehalten und ihren minderjährigen Verehrerinnen. Jetzt finden sich Twinsets und Blazer, Siebenachtel-, Dreiviertel- und Zehnelftel-Hosen. Letztere ergeben sich aus dem Umstand, das gelegentlich Beinlänge und Taillenmaß sich konfektionsgrößenlogischen Zwängen entziehen und als „recht nett“ oder „für den Preis“ trotz sichtbarer Wunschformatabweichung in den Warenkorb gelangen. Apropos „für den Preis“. Bezahlt wird mit der Bordallzweckplastikkarte und abgerechnet am Schluss mit der vorher eingelesenen Kreditkarte. Der Kauf hat also wegen der abwesenden Sofortwirkung für den Kreditkarteneigentümer so etwas wie ein Phantomschmerz. Rosa also, oder Pink, oder Malve machen einen guten, manchmal schlecht sitzenden Teil der Bordgästekleidung aus. Verwunderlich auch hier der Blick in die Geschichte. War doch Rot eine männliche Farbe. Für Blut und Kampf und Eifer stehend. Und die Mädchenfarbe war blau, was sich mit den jungferlichen Blaustrümpfen bis ins 19. Jahrhundert zeigen ließ. Erst mit dem Aufkommen einer deutschen Marine und mit dieser der Matrosenanzügen wurde das Blau bürgerlich männlich und promenadenfähig. Bis dahin führte der dicke blaue Stoff ein unbemerktes Schattendasein als Blaumann in schmutzigen Werkstätten und nietenverstärkt im Wilden Westen für kuhtreibende Landarbeiter. Meereswellenfarbig und in Streifen kam das Blau des Matrosenanzuges in die deutschen Bürgerstuben. Seitdem hat der Marinelook seine Popularisierung erfahren. Freizeitkapitäne, Kreuzfahrer und Apres Yacht Schickeria wollen auf das blauweiße Stück nicht verzichten.

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So strömen denn auch über den Neuen Wall von Deck 7 oder am Pool auf Deck 11 die beiden Fraktionen friedlich und nur für das menschliche Farbempfinden gefährlich nahe aneinander vorbei. Maritime Ringelpullis treffen beim Käffchen oder Latte auf Pink Ladies. Spätestens ab dem ersten Seetag kommt noch die Gruppe der bekennenden „MeinSchiff“ler dazu. Pullis, weiß oder marine, Bademäntel (weißflauschig nach zehn Wäschen und blaubestickt), Windjacken, Kapuzenpulli, Tragetaschen. Noch gibt es kein Klebe-Tattoo oder eine Clutch in TUI-MS-Look. Aber ein Badeentchen. Das gibt es, neben vielen anderen Dingen, die der Mensch nicht braucht und um so lieber ersteht, nebenan bei „Mein Genuss“. Wenn das als Kabinenmitbringsel nicht reicht, reichen wenige Schritte Richtung „Meine Freude“. Chronographen und andere Handgelenkverschönerer, natürlich passend maritim oder pink. Aber für den Dress Code würde sicher schon ein ordentliches MeinSchiff-Schlüsselband (auch in Kindergrößen) reichen und die mitgebrachten schwarzen Bänder von AIDA (weniger Club wäre mehr) oder die dunkelroten von Deilmanns „Deutschland“ (wer will da eigentlich noch drauf?) oder vom Betonbau Brandenburg ersetzen. Zeichen setzen. Blau und weiß, vielleicht mit rosa Schleifchen.

Lesetipp: Robert Kuhn, Bernd Kreutz: Der Matrosenanzug. Kulturgeschichte eines Kleidungsstücks. Harenberg Edition. 208 Seiten für € 14,95 (stan)

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